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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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Martens, schrieb, als er 1862 sein gewissenhaft geführtes Tagebuch zum Druck gab, stellvertretend für viele Augenzeugen: »Niemals, soweit die Geschichte reicht, hat die Welt ein Schauspiel gesehen, das an Gräßlichkeit sich dem vergleichen mag, welches die Vernichtung des französischen Heeres auf den Gefilden Rußlands und Polens darbot. (…) Mit Gottes Beistand haben weder Spital noch Gefangenschaft mich abgehalten, täglicher Zeuge dieser beispiellosen Ereignisse zu sein, ein Glück, das nicht viele mit mir teilen konnten, und auch unter diesen konnte sich selten einer entschließen, alles niederzuschreiben, was er im Verlaufe eines jeden Tages erlebte.«
    Diese Chronisten haben uns, natürlich immer im subjektiven Ausschnitt, das Bild einer Katastrophe vermittelt, von der die Vorstellungskraft der Zeitgenossen überfordert war und die uns, 200 Jahre später und nach zwei Weltkriegen, die das Grauen von einst noch weit überstiegen, immer noch bewegt.
    Die von den Augenzeugen und ihren Herausgebern verwendete Orthographie weicht oft beträchtlich voneinander ab, zumal die wenigsten Ausgaben sich der Schreibweise desOriginals bedienen. Deswegen und um der besseren Lesbarkeit wegen wurde hier eine einheitliche Schreibung benutzt, das gilt auch für die Übersetzungen. Doch wurden stilistische, mundartliche und grammatikalische Eigenheiten beibehalten. Da das von Napoleons Bruder Jérôme regierte Königreich Westphalen nicht identisch ist mit dem heutigen Westfalen, wird hier die alte Schreibweise »Westphalen« verwendet. Die damals zu Rußland gehörenden baltischen Städte erscheinen in der von allen Augenzeugen verwendeten russischen Schreibung, also Wilna statt Vilnius, Kowno statt Kaunas; die russischen Ortsnamen sind ebenfalls in der von den Quellen benutzten Schreibweise zitiert, nicht nach der heutigen, so unter anderem als Borisow (heute Barysan), Gschatsk (heute Gagarin), Smorgonie (heute Smarhon).
    Die Illustrationen stammen von drei Teilnehmern des Feldzugs: Albrecht Adam aus Nördlingen, der als Maler und Zeichner im Stab von Eugène de Beauharnais (4. Armeekorps) den Krieg bis zur Einnahme von Moskau mitmachte und dank früherer Heimkehr nicht in die Winterkatastrophe hineingeriet, und Christian Wilhelm von Faber du Faur aus Stuttgart. Er hat den Krieg vom ersten bis zum letzten Tag als württembergischer Oberleutnant der Artillerie in der 25. Division des 3. Armeekorps mitgemacht und mit dem Zeichenstift begleitet. Seine Skizzen, die er erstmals 1816 in einer Stuttgarter Ausstellung öffentlich vorstellte, hat er in den folgenden Jahren als Aquarelle ausgearbeitet und diese dann zwischen 1831 und 1843 in hundert Lithographien umgesetzt. Sein Regimentskamerad und Feldzugsteilnehmer Major Friedrich von Kausler schrieb dazu die erläuternden Texte. Und schließlich ist noch ein Blatt aus dem Skizzenbuch von François Pils beigegeben, der als französischer Grenadier in der unmittelbaren Umgebung des Marschalls Oudinots den Feldzug miterlebt hat.

1. EIN KRIEG WIRD VORBEREITET
    Am 5. Juni 1811 erschien Armand Marquis de Caulaincourt pünktlich um 11 Uhr bei Napoleon im Schloß von Saint-Cloud bei Paris. Der Kaiser hatte den Marquis, der von November 1807 bis Februar 1811 Frankreichs Botschafter in St. Petersburg gewesen war, kommen lassen, um seine Meinung zu einer grundlegenden Entscheidung zu hören: Krieg mit Rußland? Napoleon schätzte die Meinung anderer – sofern sie nicht allzu sehr von der eigenen abwich. Hier allerdings wußte er von vornherein, daß der ehemalige Gesandte von Moskau ihm offen widersprechen würde, weswegen das Gespräch schon ziemlich frostig begann.
    Armand-Augustin-Louis Marquis de Caulaincourt kannte den Kaiser gut, denn er hatte ihm schon während des Konsulats als Adjutant gedient. In dieser Zeit hatte der Erste Konsul Bonaparte den 1773 geborenen Sproß eines uralten picardischen Adelsgeschlechts wegen seiner Präzision und Zuverlässigkeit schätzengelernt. In wenigen Jahren stieg der junge Offizier zum Oberst und schließlich zum Divisionsgeneral auf, ausgezeichnet mit dem Kreuz der Ehrenlegion und 1808, mit 35 Jahren, zum Herzog von Vicenza ernannt. Napoleon anerkannte das Organisationstalent dieses ehrlichen, aufrichtigen Mannes, denn wenn der ihm auch, wo es nottat, furchtlos widersprach, so wußte der Kaiser, daß er sich auf Caulaincourts Loyalität verlassen konnte und von ihm stets die Wahrheit und keine Schmeicheleien zu hören bekam. Ihm mit Ungnade zu
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