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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Autoren: Eckart Klessmann
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Tatsächlich sind bestenfalls 50 000 zurückgekehrt, und diese Zahl dürfte wahrscheinlich schon viel zu hoch angesetzt sein. In ihre württembergische Heimat kehrten überhaupt nur 300 zurück, einer von ihnen war der Oberleutnant Christoph Ludwig von Yelin, der zu den wenigen Überlebenden in den Lazaretten von Wilna gehörte. Er blieb bis zu seiner Genesung dort und wurde dann am 7. April 1813 mit 41 weiteren Offizieren nach Minsk transportiert, zu Fuß, denn Wagen gab es nur für das Gepäck. In Minsk wurden alle 42 bei einem Juden untergebracht und blieben hier während der Osterwoche. »Eine sonderbare Erscheinung war es für uns, daß wir während der ganzen Osterwoche keine Juden, deren es auch hier sehr viele gibt, auf den Straßen gesehen haben. Mein Hausjude sagte mir auf mein Befragen, daß sich in dieser Woche wegen der Russen kein Jude sehen lassen dürfe, wenn er nicht verklopft werden wolle ›wegen der alten Geschichte, die in Jerusalem vorgefallen sein soll‹.«
    Am 12. Juni hatten die Offiziere Tambow im Oka-Don-Becken erreicht, das ihnen als Ziel genannt worden war, doch nach acht Tagen wurde ihnen eröffnet, sie müßten weiter. Ihre Zahl betrug inzwischen 120, die man jetzt in 70 Wagen beförderte, und zwar wieder nach Pensa, wo sie am 29. Juni eintrafen, und natürlich weiß auch Oberleutnant von Yelin von dem so gefeierten Schneidermeister Engertmeyer zu berichten. Nach drei Wochen verteilte man die Offiziere auf Kreisstädte des Gouvernements, und Yelin kam nach Saransk. Hier wurden die Offiziere vom Polizeichef der Stadt willkommen geheißen und bei ihm zu einem Festmahl eingeladen. Häufigkam es vor, daß der russische Adel Offizieren die Stelle eines Hauslehrers für seine Kinder anbot. »Auch hier wurden wir öfters gefragt, ob wir nicht in Rußland bleiben wollen«, schreibt Oberleutnant von Yelin, »es würden uns Ländereien in den deutschen Kolonien im Gouvernement Saratow angewiesen werden etc. Diese glänzenden Aussichten verführten aber keinen von uns, und alle sehnten sich der Heimat entgegen. (…) Unsere Ärzte hatten die beste Aufnahme, denn während unseres Aufenthalts wurden mehrere Edelleute krank; die Stadt hatte keinen Arzt und keine Apotheke, wie man solche nur selten außer den Gouvernements-Städten findet, sie waren daher sehr froh, wenn sich bei den Gefangenen Ärzte fanden. Einem Arzt von uns wurde viel versprochen, wenn er nur einige Jahre nach unserm Abgang bleiben würde, allein er zog es doch vor, wieder ins Vaterland zurückzukommen.«
    Am 16. Dezember wurde den Offizieren die Entlassung in die Heimat mitgeteilt. Verglichen mit den Erfahrungen anderer Gefangener, war es Christoph Ludwig von Yelin und seinen Kameraden ungewöhnlich gut ergangen: seine eigentlich schlimmen Erfahrungen hatte er im Lazarett von Wilna erleben müssen. Zu 56 Offizieren reisten sie aus Saransk ab. In Tambow kamen weitere Gefangene dazu, darunter der westphälische Husaren-Leutnant Eduard Rüppell. Eine Krankheit zwang Yelin in Bialystok für mehrere Wochen ins Bett. Doch schließlich passierte der württembergische Oberleutnant mit einem Transport von 77 Gefangenen am 10. Juni 1814 in Tykotschin die Warna, die hier die Grenze bildete. »Mitten auf der Brücke hielten wir und dankten Gott, daß wir das verwünschte Rußland hinter dem Rücken hatten.«

ANHANG
VERZEICHNIS DER AUGENZEUGEN
    Albrecht Adam (1786–1862) machte nach seiner Heimkehr Karriere als Schlachten- und besonders Pferdemaler und starb hochangesehen in München.
    Johann von Borcke (1781–1862) trat 1814 in den preußischen Militärdienst, nahm 1815 an den Schlachten von Ligny und Waterloo teil, wurde 1824 Major und trat 1831 als Oberleutnant in den Ruhestand. Er starb in Salzwedel.
    François de Bourgogne (1785–1867) geriet im Oktober 1813 in preußische Gefangenschaft und schrieb dort seine Memoiren. Er war 1830 Platzmajor in Brest und 1832 in Valenciennes und wurde 1853 pensioniert.
    Heinrich von Brandt (1789–1868) trat 1815 in die preußische Armee ein und brachte es bis zum General der Infanterie. Er starb in Berlin.
    Armand de Caulaincourt (1773–1827) wurde 1813 Napoleons Außenminister und zog sich nach 1815 ganz aus dem öffentlichen Leben zurück.
    Dezydery Chłapowski (1788–1879) kämpfte 1831 im polnischen Aufstand als General gegen die Russen.
    Jean-Roch Coignet (1776–1865) wurde 1813 Hauptmann und blieb in der Armee bis zu seinem Abschied 1831. Er starb in Auxerre.
    Ludwig Wilhelm von Conrady
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