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Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Titel: Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
Autoren: Christopher Ride
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einem dumpfen Laut hinter ihnen zufiel, verstummte das Geräusch des heftigen Regens. Es war totenstill. Nur der Hufschlag des Lasttiers auf dem glatten Granitboden war zu hören.
    Die Kathedrale war ein grandioser Bau und auf den Grundmauern des Wiracocha-Palastes errichtet worden, der über dreihundert Jahre lang Residenz der Inka-Könige gewesen war. Nach der Einnahme Cuscos befahl Pizarro, den Inka-Palast zu zerstören und mit den Steinen die Kathedrale zu bauen.
    »Ist er in der Satteltasche?«, fragte Monseñor Pera.
    Juan deutete mit dem Kopf in ihre Richtung. »Ja, Vater«, antwortete er, rührte aber keinen Finger, um den Schatz hervorzuholen.
    »Ich brenne darauf, ihn zu sehen, mein Sohn.«
    Mit jedem Augenblick, der verstrich, wurde Juan aufgeregter. Sein Atem ging schneller, sein Gesicht rötete sich.
    »Öffne die Satteltasche, und lass mich sehen, was du da hast!«
    Juan schwankte, ob er das Ding hergeben sollte oder nicht. »Wo ist mein Bruder?« Suchend schaute er zwischen den erhabenen Säulen umher. »Ist er hier?«
    »Er ist bei Bischof Francisco«, antwortete Monseñor Pera. »Nun zeig mir den Schatz.« Er ging mit ausgestreckter Hand auf die Satteltasche zu.
    Juan stellte sich dazwischen. »Nicht, ehe mein Bruder unversehrt wieder bei mir ist. So war es abgemacht.«
    Monseñor Pera blieb stehen und verzog ärgerlich das Gesicht. »Du wagst es, dich mir im Hause Gottes zu widersetzen! Du wirst tun, was ich sage, und die Satteltasche öffnen!«
    So aufgeregt, dass er kaum denken konnte, blickte Juan zu dem lebensgroßen Christusbild an der Wand auf: Das Blut tropfte lebensecht von der Dornenkrone auf dem Haupt, die Hände und Füße waren mit großen Nägeln an das Kreuz geschlagen. Heftig atmend sah Juan dann wieder in das zornige Gesicht des Monseñor.
    »Er will den Schatz nur für sich selbst!«, rief ihm eine tiefe, machtvolle Stimme zu. »Du musst ihn töten, bevor er dich tötet!«
    Juan strich über das Silberkreuz unter seinem Poncho. »Sie dürfen ihn nicht sehen«, erklärte er, und vor lauter Angst brach ihm die Stimme.
    »Wie kannst du es wagen!«, schrie der Priester. »Gib ihn her ...«
    Ehe Juan wusste, was er tat, hatte er sein Jagdmesser aus dem Stiefel gezogen und stieß es dem Geistlichen in den Magen.
    »Du musst ihn töten!«, wiederholte die tiefe Stimme. »Sonst wird er dich töten! Du musst ihn töten!«
    Plötzlich war alles verschwommen. Ihm war furchtbar schwindelig. Das Licht blendete, und kalte, dunkle Schatten umhüllten ihn. Juan hatte kein Gefühl mehr in den Gliedern, er spürte nichts. Er war leer und versuchte verzweifelt, sich in dem Wahnsinn um ihn herum zurechtzufinden.
    Allmählich kam Juan wieder zu Verstand und sah den blutigen, entstellten Leichnam des Priesters vor sich liegen. Das Gesicht war zerstochen und kaum wiederzuerkennen. Juan ließ das Messer fallen. Es landete in der größer werdenden Blutlache. Das kirchliche Gewand war von zahllosen Stichen zerfetzt, die Gedärme des Monseñor quollen heraus, und der Gestank war überwältigend.
    Der Esel hatte versucht, sich loszureißen, aber die Zügel waren fest um Juans Handgelenk gewickelt. Juan entfuhr ein Schrei bei dem entsetzlichen Anblick, und er biss sich in die Hand, um nicht weiterzuschreien. Der Gestank brachte ihn zum Würgen, und er erbrach Gallenflüssigkeit. Dabei sah er auf seine Hände, die voller Blut waren, ebenso wie sein Poncho. Dann blickte er wieder auf den entstellten Leichnam. Die Welt verschwamm. Er fiel auf die Knie.
    Bittere Galle strömte erneut in seinen Mund, als er den Blick zu dem Marienbildnis hob, auf dem die Jungfrau das Jesuskind in den Armen hielt. »Was habe ich getan?«, fragte er sie jammernd. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und er drückte das Gesicht an die zerfetzte Brust des Padre. »Es tut mir leid!«, heulte er. »Es tut mir leid!«
    Im Seitenschiff waren eilige Schritte zu hören, die näher kamen. Juan wusste, dass er fliehen sollte, doch er war unfähig, sich zu rühren. Er war wie erstarrt.
    Das hat der Inka-Fluch mit mir gemacht, erkannte er und erbrach sich ein weiteres Mal. »Gelobt sei unser Herr Jesus Christus«, murmelte Juan und wiederholte die Worte in einem fort. »Möge er mich vom Bösen erretten.«

2.
    C USCO , P ERU P LAZA DE A RMAS O RTSZEIT : 10.20 U HR 16. J ANUAR 1908
    Drei Tage nach dem grausamen Tod von Monseñor Pera ging Wilson Dowling im Nieselregen über die Kopfsteinpflasterstraße auf die Plaza de Armas zu. Er war froh,
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