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Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Titel: Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
Autoren: Christopher Ride
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1.
    C USCO , P ERU P LAZA DE A RMAS O RTSZEIT : 14.46 U HR 13. J ANUAR 1908
    Auf dem Rücken eines Esels ritt Juan Santillana durch den Nieselregen den Berg hinab und über das Kopfsteinpflaster auf den zentralen Platz von Cusco. Aus seinem Kapuzenponcho schauten nur die Augen und seine rechte Hand heraus, die den nassen, grauen Alpakastoff von innen unter dem Kinn zusammenhielt. Auf dem Platz hatte achthundert Jahre zuvor Manco Cápac, der erste Inka-König, den goldenen Stab des Sonnengottes hingeworfen und verkündet, dass dort die Hauptstadt des Inka-Reiches erbaut werden solle. Sie bekam die Umrisse eines Pumas, ein heiliges Tier der Inka, und an der Stelle seines Herzens befand sich dieser Platz.
    Er war quadratisch und maß von einem Ende zum anderen dreihundert Schritt. In der Mitte stand ein großer, zweistöckiger spanischer Brunnen. Drei ausgetretene Wege, die sich in der Mitte kreuzten, verliefen über die geneigte Fläche, und teilten sie in sechs symmetrische Rasendreiecke. Während der Zeit der Inka-Könige hieß der Platz Huacaypata – Herz des Pumas. Doch er wurde von dem spanischen Eroberer Francisco Pizarro in Plaza de Armas, Platz der Waffen, umbenannt, nachdem dieser Cusco 1533 auf brutale Weise eingenommen hatte.
    Die Schritte des Esels wurden unsicher, als er sich unter dem grauen Nachmittagshimmel auf den weiten Platz schleppte. Es war ein langer Ritt gewesen, und auch Juan hatte seit ein paar Stunden Mühe, die Augen offen zu halten. Doch auf der Plaza de Armas angelangt, war er plötzlich hellwach und nahm mit scharfen Sinnen den eindrucksvollen Anblick der Kathedrale in sich auf, die vor ihm aufragte.
    Wie so oft in den vergangenen drei Tagen griff er hinter sich nach der schweren Satteltasche, die auf dem Hinterteil des Esels festgebunden war. An der Treppe vor der Kathedrale überlegte Juan einmal mehr, dem Esel die Hacken in die Seiten zu stoßen und mit seiner Entdeckung wegzureiten.
    Welchen Wert hat das Leben meines Bruders?, fragte er sich.
    Er sah zu den Glockentürmen der katholischen Kirche hoch, zwischen denen sich das bescheidene weiße Holzkreuz gegen den grauen Himmel abhob, ehe er endgültig seine Entscheidung traf.
    Juan bekam unerwartet Herzklopfen und blickte suchend über den Platz.
    Überall waren Leute, die trotz des Regens wie an jedem anderen Tag auch ihren Geschäften nachgingen. Zahllose Esel zogen Karren mit Erzeugnissen von den Bauernhöfen der Umgebung – Holz, Süßkartoffeln, Mais, Quinoa, Tee. Eine Frau trug ihren Säugling in einer Schlinge unter dem Poncho und einen schweren Sack Weizen auf dem krummen Rücken. Weiter weg kauerten peruanische Soldaten unter einem Vordach der Kaserne beim Kartenspiel zusammen, ihre Gewehre standen ordentlich nebeneinander an die Wand gelehnt. Zwei Mönche gingen gemächlich über den Platz auf die Jesuitenkirche zu, die braunen Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.
    Juan stieg langsam von seinem Esel ab. Ihn schmerzte der Rücken von dem langen Ritt. Seine Kleidung war durchnässt, sein Hintern wund. Er konnte vor Schmerzen kaum stehen.
    In Cusco wusste noch niemand von dem immensen Schatz in seiner Satteltasche. Es war eine Kostbarkeit, wie sie noch nie ein Mensch gesehen hatte. Wenn in diesen belebten Straßen auch nur einer davon wüsste, gäbe es einen Menschenauflauf, weil alle die Taschen berühren wollten, ganz zu schweigen von dem Wunsch, sie an sich zu bringen. Juan hatte bereits einen Menschen getötet, um sie zu schützen, und er hatte Angst, es wieder tun zu müssen. Es war, als spräche der sonderbare Gegenstand zu ihm, erzählte ihm von den Freuden und Reichtümern, die bald sein wären, und schmeichelte sich damit direkt in sein Gehirn. Juan wollte glauben, dass er die Sünde des Tötens begangen hatte, um seinen Bruder zu retten – es war viel leichter, die Sache so zu sehen. Doch eines war sicher: Er sonnte sich im hellen Glanz einer furchteinflößenden Macht, wenn er das Inka-Ding anschaute. Es war nicht von dieser Welt, so viel war ihm klar.
    Als er sich der mächtigen Kirche zuwandte, zog sich ihm plötzlich der Magen zusammen. Wollte er das kostbare Ding wirklich Bischof Francisco übergeben? Er tastete unter dem Poncho nach dem kleinen Silberkreuz, das an einem dünnen Lederband um seinen Hals hing.
    »Sprich zu mir, Christus«, murmelte er.
    Juan schaute an der Fassade hinauf, und sein Blick blieb an dem weißen Zifferblatt des linken Turms hängen. Es war eine Minute vor drei, und gleich würden die
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