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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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so weitergehen zu können, dem flachen Meereshorizont entgegen. Hinter dem Hügel verschwand das Dorf, und die Berge des Binnenlandes wuchsen auf und verstellten den Himmel. Stefano ging nicht weit. Die Landstraße lief auf einem Damm entlang, von dem aus der trostlose Strand und das öde Land sich vor einem aufat. Ferne, an einer Biegung, sah man ein bißchen Grün, aber schon auf halbem Wege dahin begann Stefano um sich zu schauen. Alles, außer der Luf und den fernen Bergen, wirkte grau und feindselig. Da und dort war auf den Feldern ein Bauer zu sehen. Da und dort hatte einer sich an den Damm gehockt. Stefano, der grollend dahingewandert war, übermannte plötzlich ein schmerzlicher Friede, eine traurige Fröhlichkeit, er blieb stehen und kehrte langsam zurück.
    Wenn er dann wieder in das Dorf kam, war er beinahe froh. Die ersten Häuser blickten ihn beinahe freundschaflich an. Wenn sie so unterhalb des Hügels, der warm in der klaren Luf stand, wieder auf tauchten und man wußte, daß sich vor ihnen das stille Meer erstreckte, wurden sie ihm fast ebenso lieb wie am ersten Tag.
    Am Dorfeingang zwischen den ersten Häuschen, lag ein Haus abgesondert zwischen Landstraße und Strand. Stefano nahm die Gewohnheit an, jedesmal, wenn er daran vorüberging, einen Blick darauf zu werfen. Das Haus hatte graue Steinmauern und ein Außentreppchen, das zu einer seitlichen, zum Meer hin offenen Loggia hinaufführte. Zwei Fenster – die gegen alle Gewohnheiten weit offen standen – lagen so hintereinander, daß das Haus für den, der von der Höhe der Straße darauf hinabschaute, wie durchlöchert, wie vom Meer erfüllt aussah. Das leuchtende Viereck bildete einen reinen genauen Ausschnitt, gleich dem Himmel eines Gefangenen. Auf dem Fenstersims standen scharlachrote Geranien, und Stefano blieb jedes Mal stehen. Seine Phantasie geriet in hefige Bewegung, als er eines Morgens auf diesem Treppchen ein bestimmtes Mädchen sah. Mit ihrem federnden verhaltenen Schritt, der einem frechen Tanz glich, das dunkle Ziegengesicht mit lächelnder Sicherheit steil über den Hüfen erhoben, hatte er sie – als einzige – im Dorf umhergehen sehen. Sie war eine Magd, denn sie ging barfuß und trug manchmal Wasser. In Stefano hatte sich die Vorstellung festgesetzt, die Frauen in diesem Lande seien weiß und schwabbelig wie das Fleisch von Birnen, und diese Begegnung überraschte ihn. In der Abgeschiedenheit seiner niedrigen Hütte phantasierte er mit einem Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit von dieser Frau, dem schon seines ausgefallenen Gegenstandes wegen alle Qual des Begehrens fernblieb. Daß eine Beziehung zwischen dem Geranienfenster und dem Mädchen bestand, erweiterte und bereicherte das Spiel seiner verwunderten Gedanken. Auf sein Bett gestreckt verbrachte Stefano die Nachmittagsstunden in der sengenden Hitze halbnackt, die Augen im blendend weißen Sonnenlicht halb geschlossen. Diese unerquickliche Reglosigkeit, von der ihm die Ohren summten, ließ ihn empfinden, wie lebendig und wach er war, und hin und wieder ertappte er sich dabei, wie er seine Hüfe mit der Hand betastete. Genau so, mager und kräfig, mußten die Hüfen dieser Frau sein.
    Draußen, jenseits der Eisenbahn, hinter einem Deich verborgen, erstreckte sich das mittägliche Meer. Es kamen Augenblicke, in denen die glühende Stille Stefano mit Entsetzen erfüllte; dann rafe er sich auf und sprang in seinen kurzen Hosen vom Bett hoch. So hatte er es an längstvergangenen Tagen auch im Gefängnis gemacht. Der Raum mit seinem Flachdach war ein gewaltiges Schwitzbad, und Stefano trat an das niedrige Fenster, wo die Mauer ein wenig Schatten spendete und der Wasserkrug zum Kühlen stand. Stefano umspannte seine schmalen, ein wenig feuchten Flanken mit den Händen und hob ihn an seine Lippen empor. Zugleich mit dem Wasser entströmte ihm ein erdiger Geschmack, der die Zähne stumpf machte und den Stefano mehr als das Wasser genoß, denn es kam ihm vor wie der Geschmack des Kruges selbst. Er schmeckte ein wenig nach Ziege, wild und zugleich sehr süß, und erinnerte an die Farbe der Geranien. Auch die barfüßige Frau ging, gleich dem ganzen Dorf, mit einem Krug wie diesem Wasser schöpfen. Sie stützte ihn schräg auf ihre Hüfen und wippte auf ihren Knöcheln. Alle diese Krüge waren sanf geschwungen und länglich, ihre Farbe lag zwischen Braun und einem Fleischton, manche waren auch blasser. Stefanos Krug war rosig überhaucht wie eine exotische Wange.
    Allein um
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