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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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Sommerfrische. Zeigen Sie diesen Burschen doch mal, was Oberitalien ist.« Dieses Einhaken kam immer so unerwartet, daß Stefano dabei das gleiche Gefühl hatte wie als Heranwachsender, wenn er sich auf der Straße mit klopfendem Herzen an Frauen herangemacht hatte. Dieser überquellenden Herzlichkeit war um so leichter zu widerstehen, als sie ihn den anderen gegenüber in Verlegenheit brachte. Stefano hatte in den ersten Tagen allzu deutlich das Gefühl gehabt, von diesen Äugelchen beobachtet zu werden, als daß er jetzt ohne weiteres auf diese Herzlichkeit hätte eingehen können. Aber Gaetanos freundliche Miene bedeutete freundliche Mienen im ganzen Wirtshaus, und Gaetano, der, wenn er wollte, seinen Gesprächspartner eisig mustern konnte, besaß doch auch wieder die Harmlosigkeit solch autoritären Benehmens.
    Er war es, den Stefano fragte, ob es keine Mädchen im Dorf gebe, und wenn es sie gebe, warum man sie dann nicht am Strand sehe. Einigermaßen verlegen erklärte ihm Gaetano, daß sie an einem abgelegenen Platz badeten, auf der anderen Seite des Flusses, und auf Stefanos spöttisches Lächeln hin gab er zu, daß sie selten das Haus verließen.
    »Aber es gibt welche?« insistierte Stefano.
    »Und ob!« Gaetano lächelte wohlgefällig. »Unsere Frauen altern früh, aber um so schöner sind sie in der Jugend. Ihre Schönheit ist so zart, daß sie die Sonne und die Blicke scheut. Unsere Frauen sind richtige Frauen. Und deshalb halten wir sie hinter Schloß und Riegel.«
    »Bei uns versengen Blicke nicht«, sagte Stefano ruhig. »Ihr dort oben habt die Arbeit, wir hier haben die Liebe.«
    Stefano empfand keine Neugierde, an den Fluß zu gehen, um heimlich nach den badenden Mädchen auszuschauen. Er nahm dieses ungeschriebene Gesetz der Trennung hin, wie er alles andere hinnahm. Er lebte inmitten von Wanden aus Luf. Aber davon, daß diese jungen Leute ihre Erlebnisse hatten, war er nicht überzeugt. Vielleicht wußte in den Häusern, hinter den immer geschlossenen Fensterläden, das eine oder andere Bett etwas von Liebe, genoß die eine oder andere Jungverheiratete Frau ihre Zeit. Aber die jungen Leute, nein. Dafür kam Stefano zuviel von Ausflügen in die Stadt zu Ohren – nicht immer von Junggesellen – und zu viele Anspielungen auf manche Mägde vom Lande, Arbeitstiere, die man so tief verachtete, daß man von ihnen sprechen durfe.
    Vor allem beim Dunkelwerden machte sich das Armselige dieses Verhaltens bemerkbar. Stefano trat an die Ecke vor seinem Haus und setzte sich auf einen Steinhaufen, um den Vorübergehenden zuzuschauen. Im Halbdunkel zuckten Lichter auf, da und dort öffnete sich in der Abendkühle ein Fensterladen. Mit leisem Rascheln und seltenem Tuscheln gingen die Leute, manchmal in schwatzenden Gruppen, vorüber. Hellere, von den anderen isolierte Gruppen bestanden aus Mädchen. Sie wagten sich nicht weit und erschienen bald wieder, um ins Dorf zurückzukehren.
    Paare waren nicht zu sehen. Wenn die Gruppen einander begegneten, horte man knappe Grüße. Übrigens sagte diese Zurückhaltung Stefano zu, der nach Sonnenuntergang seine Wohnung nicht verlassen durfe und den es mehr als nach Leuten nach der Nacht und ihrer vergessenen Schatteneinsamkeit verlangte. So sehr hatte er ihre Süße vergessen, daß es nur eines Windhauchs, des Zirpens einer Grille, eines Schrittes oder des riesigen Hügelschattens vor dem bleichen Himmel bedurfe, damit er seine Wange auf die Schulter legte, als streichele ihn eine freundliche Hand. Das Dunkel, das den Horizont abschloß, vergrößerte seine Freiheit und gab seinen Gedanken Raum.
    Zu dieser Tageszeit war er immer allein, und allein verbrachte er auch den größten Teil des Nachmittags. Im Wirtshaus wurde nachmittags Karten gespielt, und wenn Stefano daran teilnahm, wurde er nach und nach unruhig und empfand das Bedürfnis aufzubrechen. Manchmal ging er dann an den Strand, aber bei dem nackten einsamen Bad im flutgrünen Meer schauderte ihn so sehr, daß er sich in der kühler werdenden Luf rasch wieder anzog.
    Dann verließ er das Dorf, das ihn allzu eng dünkte. Die Hütten, die Felsblöcke auf dem Hügel, die fleischigen Hecken wurden wieder zur Niststätte filziger Leute, lauernder Blicke, feindseligen Lächelns. Auf der Landstraße, die zwischen vereinzelten Olivenbäumen zu den Feldern am Meer führte, entfernte er sich vom Dorf. Gespannt ging er fort, in der Hoffnung, die Zeit werde verstreichen, etwas werde geschehen. Er hatte das Gefühl, endlos
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