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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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war gerade vom Strand zurückgekommen und schaute von der Schwelle auf die menschenleere Straße. Die Frau hatte sich umgesehen, hatte zur Tür hinübergeschaut (Stefano begriff später, daß der Widerschein der Sonne sie geblendet hatte), hatte sich umgedreht und war wieder in das Auto gestiegen, hatte sich vorgebeugt und war mit einem leichten Knirschen der Räder im Staub wieder abgefahren.
    Manchmal kam es Stefano so vor, als sei er erst seit ein paar Tagen hier und alle seine Erinnerungen seien ebenso wie Concia, wie Giannino und der Anarchist nur Phantasien. Er lauschte dem Geschwätz des kahlen Vincenzo im Wirtshaus, der, während Stefano aß, die Zeitung bis zu Ende las.
    »Sehen Sie, Herr Ingenieur: ›Wechselhafe Witterung‹. Immer gleich, diese Zeitungen. Da frage ich Sie, ob das Meer heute nicht wie Öl ist?«
    Durch die Tür sah man die Kieselsteine und ein Stück von Gaetanos Mauer still im feuchten Sonnenlicht. Jungen, die man nicht sah, schrien weiter unten auf der Straße.
    »Es ist schon fast das richtige Wetter für den Tintenfischfang. Haben Sie das je gesehen? Stimmt, Sie sind letztes Jahr erst im Juni gekommen … Man macht das nachts, mit einer Lampe und einem Schmetterlingsnetz. Sie sollten die Erlaubnis beantragen …« Unter der Tür erschien der Wachtmeister, rot und schwarz, mit einem aufgeregten Gesicht wie bei einer Haussuchung.
    »Ich habe Sie gesucht, Herr Ingenieur. Wissen Sie das
Neueste? … Essen Sie erst zu Ende, essen Sie zu
Ende.«
Stefano sprang auf.
    »Die Revision ist abgelehnt worden, aber man hat Sie begnadigt. Seit heute früh sind Sie frei, Herr Ingenieur.«
    An den beiden Tagen, an denen Stefano auf seine Marschorder wartete, machte ihn der Fortfall seiner Gewohnheiten, die auf der monotonen Leere der Zeit beruht hatten, ganz benommen und beinahe unglücklich. Seinen Koffer, von dem er gefürchtet hatte, er werde ihn vielleicht nicht schnell genug packen können, schloß er in einem einzigen Augenblick und mußte ihn dann nochmals öffnen, um frische Strümpfe herauszunehmen. Von Gianninos Mutter wagte er sich nicht zu verabschieden aus Angst, sie werde unter seiner unverschämten Freiheit leiden. Beständig ging er zwischen seinem Zimmer und der Wirtschaf hin und her, unfähig, einen längeren Spaziergang zu machen und von jedem der öden, bleichen Plätze auf dem Land und am Meer Abschied zu nehmen, die seine Augen in verzweifeltem Überdruß so of verschlungen hatten, während er sich sagte: »Ein letztes Mal wird kommen, und ich werde diesen Augenblick wieder erleben.« Gaetano und Pierino kamen zu ihm nach Hause. Stefano, dem der Schmutz in seinem Zimmer nie so aufgefallen war wie jetzt, wo er zum letzten Mal in ihm schlafen sollte, holte sie herein, forderte sie auf, sich auf sein Bett zu setzen, und lachte töricht über die Haufen von altem Papier, von Abfällen und Asche in den Ecken, Gaetano sagte: »Wenn Sie durch Fossano kommen, grüßen Sie die Mädchen von mir.« Sie sprachen miteinander über die Abfahrtszeiten der Züge, die Stationen und die Schnellzüge, und Stefano beaufragte Pierino, Giannino von ihm zu grüßen. »Sagen Sie ihm, daß die Entlassung aus dem Gefängnis mehr Befriedigung mit sich bringt als das Ende der Verbannung. Jenseits des Gefängnisgitters ist die ganze Welt schön, während das Leben in der Verbannung wie jedes andere ist, nur ein bißchen schmutziger.«
    Dann packte er seinen Mut mit beiden Händen und ging abends zur verbotenen Stunde in den kleinen Laden. Die Mutter war schon zu Bett gegangen; im weißen Licht der Azetylenlampe kam Elena, um ihn zu bedienen. Er sagte ihr, er wolle das Zimmer bezahlen, denn er kehre nach Hause zurück; dann wartete er schweigend einen Augenblick und sagte, alles andere könne er ohnehin nicht mit Geld aufwiegen. Elena stammelte verlegen mit ihrer rauhen Stimme: »Man liebt doch nicht, um bezahlt zu werden.« Ich meinte das Saubermachen, dachte Stefano, aber er schwieg und nahm ihre reglose Hand und drückte sie, ohne die Augen zu heben. Elena, auf der anderen Seite des Ladentisches, rührte sich nicht.
    »Und wer erwartet dich zu Hause?« fragte sie leise. »Ich habe kein Mädchen und werde allein sein«, antwortete Stefano und runzelte ohne Anstrengung die Brauen. »Willst du heute nacht kommen?«
    Er schlief in dieser Nacht nicht und hörte die beiden Züge, den Abendzug und den vor Sonnenaufgang mit enttäuschter Ungeduld, die ihr Brausen im voraus auskostete und dann davon enttäuscht
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