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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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hatte, aufsässig dahingewandert war und das Gefühl gehabt hatte, der Geist dieses Landes bemächtige sich seiner. »Wenigstens weine ich diesmal nicht.«
    Er weinte nicht nur nicht, seine Erregung hatte etwas Vergnügtes und Verantwortungsloses an sich. Daß eine gute Tat auf geheimnisvolle Weise mit einem Blumenstrauß belohnt werden könne, hatte er immer gefürchtet. Aber jetzt konnte er der Angelegenheit einen Namen geben: Aberglaube, krasser Aberglaube, derselbe wie bei den Bauern, die den Kopf zu diesem Himmel emporhoben und auf ihrem Esel unter den Olivenbäumen aufauchten.
    Beschämt versuchte Stefano, Elenas Geste richtig zu werten, denn er wußte jetzt, daß er sie in der Hand hatte und sie nach Lust und Laune rufen oder abweisen konnte. Inzwischen aß er zum Abendbrot das gebratene Fleisch auf dem Teller und fand es so wohlschmeckend, daß er beschloß, die Orange sofort zu essen und danach noch einmal auf das Fleisch zurückzukommen. Das Fleisch war von einer Schärfe, die Stefano noch auf der Zunge spürte, als er die Orange schlürfe. Stark zu pfeffern und zu würzen, war dörfliche Gewohnheit, insbesondere an den Feiertagen, aber Stefano hatte einen anderen Verdacht. Einen Augenblick stellte er sich vor, Elena wolle sich rächen und sein Blut in Brand setzen. Auch die bizarren roten Blumen sprachen dafür. Aber lohnte es in diesem Fall, Rücksichten zu nehmen? Stefano, den seine kurz zuvor geübte Enthaltsamkeit kühn gemacht hatte, lachte sich eins und stürzte sich auf das Essen.
    Elena sah er am nächsten Tag friedlich über den Hof kommen und erwartete sie an der Tür. Sie schauten sich verlegen an. Stefano, der ruhig geschlafen hatte, trat zur Seite, bat sie herein und warf ihr von der Schwelle mit den Lippen einen Kuß zu. Sie wagte einen beinahe verstohlenen Blick, aber als Stefano einen ersten Schritt tat, schüttelte sie ängstlich den Kopf. »Von heute an werde ich dich nicht mehr anrühren. Bist du jetzt zufrieden?« sagte Stefano, ging fort und ließ Elena reglos und erstaunt mitten im Zimmer stehen. Stefano begann zu verstehen, welche Kraf von der armen Annetta auf ihn übergegangen war, die er doch nur aus Zufall geschont hatte. Nicht eigentlich von ihr, sondern von seinem eigenen Körper, der wieder ins Gleichgewicht kam und auch seinem Gemüt einen krafvollen Frieden schenkte. Jetzt empfand er es als sehr töricht, daß er seine Gedanken zu isolieren versucht und gleichzeitig zugelassen hatte, daß sein Körper sich in Elenas Schoß verströmte. Um wirklich allein zu sein, bedurfe es eines Nichts: man brauchte nur Enthaltung zu üben.
    Gaetano und der Autoschlosser sprachen in der Wirtschaf wieder über Annetta. Stefano lauschte ihnen betreten und wußte wohl, daß auch er eines Tages würde nachgeben müssen. Aber dann würde er zu Elena gehen. Kleinlaut hörte er zu, um seine Gelassenheit auf die Probe zu stellen.
    Da sagte der Autoschlosser: »Wer weiß, wie sehr unser Freund sich Annetta herbeiträumt!«
    »Sie sind ein Glückspilz, Herr Ingenieur«, sagte Gaetano. »Nicht einmal an Frauen läßt man es Ihnen fehlen.«
    Stefano sagte: »Aber es ist wirklich ungerecht, daß Giannino, der wegen einer Liebesgeschichte eingesperrt ist, sich noch nicht einmal die Zeit mit der vertreiben kann, die ihn ins Unglück gebracht hat.«
    »Wollen Sie die Justiz abändern?« sagte der Autoschlosser. »Was wäre denn das für ein Gefängnis?« »Sie meinen, Gefangensein bedeute Enthaltsamkeit?« »Vielleicht nicht?« Gaetano lauschte in Gedanken versunken.
    »Sie täuschen sich«, sagte Stefano, »Gefangensein bedeutet, ein Stück Papier werden.«
    Gaetano und der Autoschlosser antworteten nicht. Statt
    dessen gab Gaetano der alten Wirtin ein Zeichen, sie solle die Karten bringen. Dann verstummte das Gespräch, weil Barbariccia erschien und sie belästigte. Das Frühjahr erwies sich als Täuschung, und das Land blieb trostlos. An dem traurigen Strand, an dem man noch nicht einmal schwimmen konnte, ließ Stefano in dem kalten Licht morgens of, wie in den längst vergangenen Julitagen, seine Blicke zu den häßlichen rosenfarbenen Häuschen schweifen. Der Tag würde kommen, mußte kommen, an dem Stefano vom Zug aus den steilen Hügel zum letzten Mal sah. Aber wie viele Sommer mußten bis dahin noch vergehen? Stefano beneidete sogar den Anarchisten in seiner Verbannung dort oben, der Ebenen, Horizonte und Küste wie ein winziges Spielzeug in der Ferne sah; und im Hintergrund die blaue Wolke des
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