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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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ersten Zeit verbrachte Stefano die Nächte in seiner Hütte schlaflos, denn nachts übermannte und erregte ihn die Seltsamkeit des Tages wie ein Ameisenkribbeln in seinem Blut. Im Dunkeln empfanden seine Sinne das Rauschen des Meeres als Dröhnen, die nächtliche Kühle als Sturm, und die Erinnerung an die Gesichter wurde zum Alpdruck. Das ganze Dorf gab sich nachts in seinem Inneren, auf seinem ausgestreckten Körper ein Stelldichein. Beim Aufstehen brachte ihm das Sonnenlicht dann seinen Frieden zurück. Hinter der sonnigen Schwelle sitzend, lauschte Stefano seiner Freiheit, und jeden Morgen hatte er das Gefühl, er komme gerade aus dem Gefängnis. Gäste betraten die Wirtschaf, und manchmal störte ihn das. Zu wechselnden Stunden kam der Carabinieri-Wachtmeister auf seinem Fahrrad vorbei.
    Die reglose Straße, die nach und nach mittäglich wurde, glitt von selbst an Stefano vorüber: man brauchte sie nicht entlangzugehen. Stefano hatte immer ein Buch dabei und hielt es geöffnet vor sich, und von Zeit zu Zeit las er darin.
    Zu grüßen und von bekannten Gesichtern gegrüßt zu werden, machte ihm Vergnügen. Der Zöllner, der seinen Kaffee am Schanktisch trank, sagte ihm höflich guten Tag.
    »Sie sind ein seßhafer Mensch«, sagte er ein wenig ironisch. »Immer sieht man sie herumsitzen, hier am Tisch oder auf dem Felsen. Für Sie ist die Welt nicht groß.«
    »Auch ich habe meine Weisungen«, antwortete Stefano. »Und ich komme von weither.«
    Der Zöllner lachte. »Man hat mir von Ihrem Fall erzählt. Der Wachtmeister ist ein ehrpusseliger Mann, aber er weiß, mit wem er es zu tun hat. Er erlaubt Ihnen sogar, im Wirtshaus zu sitzen, was Sie eigentlich nicht dürfen.«
    Stefano war nicht immer sicher, ob der Zöllner Spaß machte, und seine helle Stimme klang ihm nach Uniform.
    Ein dicker Bursche mit lebhafen Augen blieb an der Tür stehen und hörte ihnen zu. Plötzlich sagte er: »Gelbkragen, merkst du denn nicht, daß du dem Ingenieur bloß leid tust und lästig bist?« Der Zöllner lächelte weiter und wechselte einen Blick mit Stefano. »Dann wärest du also der ungebetene Dritte.« Alle drei beobachteten einander, der eine gelassen, der andere spöttisch, mit unterschiedlichem Lächeln. Stefano fühlte sich von diesem Spiel ausgeschlossen und versuchte, diese Blicke gegeneinander abzuwägen und ihre Bedeutung zu ermessen. Um die Schranke zu durchbrechen, das wußte er, mußte man nur das launische Gesetz dieser Anspielungen kennen und an ihnen teilnehmen. Das ganze Dorf unterhielt sich mit solchen anzüglichen Blicken und Hänseleien. Andere Müßiggänger betraten das Wirtshaus und schalteten sich in den Wettstreit ein.
    Ganz groß war darin der dicke junge Mann, der Gaetano Fenoaltea hieß, schon weil er der Wirtschaf gegenüber, im Laden seines Vaters wohnte, dem alle diese Häuser gehörten, und über die Straße zu gehen, für ihn keine Unterbrechung der Arbeit bedeutete. Diese Müßiggänger wunderten sich darüber, daß Stefano jeden Tag an den Strand ging. Der eine oder andere von ihnen kam gelegentlich mit ihm; ja, sie hatten ihm sogar gezeigt, wie bequem der Felsen war; aber das taten sie nur, um ihm Gesellschaf zu leisten, oder in einer vorübergehenden Laune. Sie verstanden seine Gewohnheit nicht und hielten sie für kindisch; sie konnten schwimmen und kannten die Dünung besser als er, weil sie als Kinder darin gespielt hatten, aber für sie bedeutete das Meer nichts oder lediglich eine Erfrischung. Der einzige, der es ernst nahm, war der junge Krämer, der ihn fragte, ob er zuvor, na ja, vor dieser dummen Geschichte, Ferien an der Riviera gemacht habe. Und obwohl Stefano manchmal morgens schon in der Dämmerung ans Meer ging und allein über den feuchten Sand lief, begann er, wenn er in der Wirtschaf hörte, daß heute niemand mit ihm käme, die Einsamkeit zu fürchten, und ging nur für eine halbe Stunde zum Baden hinaus.
    Wenn sie sich vor der Gastwirtschaf trafen, nickten Stefano und der dicke Bursche einander bloß zu. Aber Gaetano erschien am liebsten erst, wenn schon ein paar Leute beieinandersaßen, und ohne Stefano unmittelbar anzusprechen, isolierte er ihn allein schon dadurch, daß er die Anwesenden aufzogen einer Sphäre scheuer Zurückhaltung.
    Nach den ersten Tagen wurde er auch ihm gegenüber gesprächig. Unversehens nahm er ihn herzlich beim Arm und sagte: »Herr Ingenieur, werfen Sie doch das Buch da fort. Wir sind hier nicht in der Schule. Sie sind hier in den Ferien, in der
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