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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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dieses Kruges willen war Stefano der Hausbesitzerin dankbar. Die Alte – eine dicke Frau, die sich kaum bewegen konnte – saß in ihrem Lädchen an der Hauptstraße und schickte ihm manchmal einen kleinen Jungen, der ihm Wasser holte. Manchmal schickte sie auch jemand, um das Zimmer aufzuräumen, dann wurde gekehrt, das Bett wurde gemacht, es wurde ein bißchen gewaschen. Das geschah am Morgen, wenn Stefano draußen war.
    Die Freude, wieder eine Tür zu besitzen, die er aufund zumachen, Dinge, die er ordnen konnte, ein Tischchen und eine Feder – was die ganze Freude an seiner Freiheit ausmachte – hatte lange gewährt, wie eine Genesung, bescheiden wie eine Genesung. Ihre Fragwürdigkeit empfand er, als diese Entdeckungen wieder zu Gewohnheiten wurden. Aber da er selten zu Hause war, behielt er dieses ängstliche Gefühl den Abenden und Nächten vor.
    Selten einmal kam abends ein Carabiniere, um zu kontrollieren, ob er zu Hause war. Nach Einbruch der Dunkelheit und vor Sonnenaufgang durfe er nicht ausgehen. Einsilbig blieb der Carabiniere im Licht der Tür stehen, deutete einen Gruß an und ging wieder fort. Im Schatten wartete ein Kamerad mit übergehängtem Karabiner. Einmal kam auch der Wachtmeister in Stiefeln und Umhang, der unterwegs zu irgendeiner Ermittlung war. Er unterhielt sich mit Stefano unter der Tür und musterte belustigt das Innere des Zimmers. Stefano schämte sich wegen all der Tüten, die aufgestapelt in einer Ecke lagen, wegen der Kartons und der schlechten Luf, denn er dachte an die geräumige Kaserne auf dem kleinen Platz, die ein Carabiniere täglich kehrte, und an die schönen großen Fenster, die zum Meer hinausgingen. Im Erdgeschoß der Kaserne lag mit blinden Fenstern, in die das Licht nur von oben einfiel, das Gefängnis. Täglich ging Stefano an ihm vorüber und dachte, daß die Zellen mit ihrem Schmutz seinem Zimmer ein wenig gleichen mußten. Manchmal drang das Gemurmel einer Stimme oder das Klirren eines Eßnapfs zu ihm herüber, und dann wußte Stefano, daß jemand – ein Bäuerlein, ein armseliger Dieb oder ein Landstreicher – im Dunkel gefangen saß.

    Niemand macht aus einer Zelle sein Heim, und Stefano spürte beständig die unsichtbaren Wände um sich. Manchmal kam er sich beim Kartenspiel im Wirtshaus, inmitten der herzlichen oder aufmerksamen Gesichter dieser Männer, einsam und fragwürdig vor, durch seine unsichtbaren Wände von dieser vorläufigen Umgebung schmerzlich getrennt. Der Wachtmeister, der ein Auge zudrückte und ihn ins Wirtshaus gehen ließ, ahnte nicht, daß Stefano bei jeder Erinnerung, bei jeder Mißlichkeit sich immer wieder sagte, dies sei ohnehin nicht sein Leben, diese Menschen und diese Scherzworte lägen ihm fern wie eine Wüste, er sei ein Verbannter, der eines Tages nach Hause zurückkehren werde. Duckmäuserisch grüßte ihn Gaetano jeden Morgen. Bei Stefanos Anblick kam Leben in seine listigen Augen und um seinen törichten Mund. Anstatt zu spielen, redete Gaetano lieber mit Stefano, und die ganze Gesellschaf hing dann an ihren Lippen. Gaetano war zwei Jahre zuvor als Unteroffizier in Oberitalien gewesen.
    Die anderen waren hager und dunkel, immer zum Zuhören und zu einem Lächeln bereit, wenn Stefano auch nur durch den Ton seiner Stimme einen Scherz andeutete. Einer darunter, ein Kahlkopf, der aber noch jung war, machte sich hinter einer Zeitung breit und überflog ihre großen Seiten von oben bis unten; dabei behielt er die Anwesenden im Auge und sagte gelegentlich ein paar Worte. Seine kleine Tochter kam ab und zu, um ihm etwas von seiner Frau auszurichten, die hinter dem Ladentisch ihrer kleinen Drogerie stand. Der Vater antwortete in gereiztem Ton; das Kind rannte hinaus; und Stefano, der die ersten Male erstaunt zuhörte, sah, daß der Kahlkopf ihn mit einem fast entschuldigenden Lächeln anstarrte. Wie das Lächeln aller dieser Leute war auch das des kahlen Vincenzo schüchtern und sanf; es kam aus dunklen Augen voller Beflissenheit.
    Über Vincenzos Laden wurde viel gewitzelt. Man fragte ihn, ob er es in Algerien gelernt habe, seine Frau arbeiten zu lassen. Vincenzo antwortete, den gewöhnlichen Verkauf könne sehr gut eine Frau abwickeln; untereinander verstünden sich Frauen besser. »Wenn ihr wenigstens den Laden voller hübscher Verkäuferinnen hättet«, sagte Gaetano und zwinkerte Stefano zu, »wie das andernorts zusein pflegt. He?« »Das hängt von der Ware ab, die man verkauf«, antwortete Vincenzo, ohne aufzuschauen.
    Ein
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