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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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wirkte.
    »Du hast wohl Hunger, was?« sagte der Schneider mit einem wunderlichen Quietschstimmchen.
    Die Frau lachte blöde, gleichgültig und dann fast glücklich vor sich hin.
    Gaetano trat auf sie zu und zwickte sie in die Wange. Übellaunig machte die Frau sich los, stellte die Schüssel auf den Boden, legte die Hände auf ihre Knie und starrte die drei Männer – vielleicht in dem Glauben zu lächeln – erwartungsvoll an. Stefano sagte: »Beim Essen soll man nie stören. Wir gehen jetzt.« Draußen atmete er die kalte, unbewegte Luf ein. »Wann Sie wollen, Herr Ingenieur …«, sagte Gaetano sofort hinter ihm.

    Das sonderbarste war: es war Winter, und doch zeigten sich die ersten Anzeichen des Frühlings. Jungen gingen mit einem Schal um den Hals, aber barfuß vorüber. Ein bißchen Grün sproß in den Graben neben den kahlen Feldern; und der Mandelbaum reckte seine bleichen Äste zum Himmel.
    Als der Regen aufgehört hatte, wurde auch das Meer wieder zart und hell. Stefano begann, in der kühlen Luf wieder am Strand entlangzugehen, und phantasierte müßigerweise darüber, daß Concia an dem Tag, an dem sie mit bloßen Füßen in den Laden gekommen war, das Ende des Winters angekündigt habe. Das Meer sah aus wie eine Wiese, aber die Nächte und die frühen Morgenstunden waren eisig, und Stefano wärmte sich noch immer an dem Kohlenbecken. Das Land war ein verhärteter Morast; Stefano malte sich schon aus, wie es wieder Farbe annahm und gelb wurde, den Anschluß an den Sommer fand und den Kreislauf der Jahreszeiten schloß. Wie of würde er das hier unten miterleben?
    Auch Giannino sah an der Farbe der Luf vor seinem Fensterchen, daß der Winter zu Ende ging. Wie of würde er das so erleben? So flüchtig und karg die Hinweise auf das Frühjahr für ihn auch sein mochten – eine Wolke oder ein Grashalm im Hof, in dem die Gefangenen spazierengingen – gewiß mußte auch ein Schweiger wie er sich ihnen sehnsüchtig hingeben. Vielleicht brachte ihm die Anmut des Frühjahres die zärtliche Erinnerung an eine Frau zurück – vielleicht lachte er darüber, daß er gerade deswegen im Gefängnis saß – , mochte Giannino auch kein Gefühl für die Jahreszeiten und die Farben der Welt haben, so empfand er doch die Schönheit eines Schoßes, einer weiblichen Bewegung, eines schamlosen Scherzes. Wer weiß, ob seine Carmela nicht ganz zufrieden bei dem Gedanken war, daß er jetzt nicht mehr auf die Wachteljagd gehen konnte.
    »Don Giannino Catalano rechnet damit, daß die Verhandlung im März stattfindet, er gedenkt Ihrer und läßt Sie grüßen, Herr Ingenieur«, hatte der Autoschlosser gesagt.
    Nachdem die kleine Frau wieder fort war – die Stefano nicht berührt hatte, auch wenn er, um Gaetano gegenüber nicht unhöflich zu sein, sich ein paar Minuten mit ihr eingeschlossen hatte – widerfuhr Stefano etwas, das seine Phantasie kindischerweise als heimliche Belohnung der Vorsehung deutete. Als er abends nach Hause kam, fand er auf seinem Tisch ein Sträußchen roter, ihm unbekannter Blumen, ein Glas und daneben – unter einem anderen Teller – einen Teller mit gebratenem Fleisch vor. Das Zimmer war aufgeräumt und gekehrt. Der Koffer auf dem ungedeckten Tischchen randvoll mit gewaschener Wäsche.
    In den wenigen Augenblicken, die er in ihrer Höhle gewesen war, hatte Stefano, ohne sich auf die Matratze zu setzen, die Frau gefragt, ob sie müde sei, hatte ihr etwas zu rauchen angeboten und, obwohl er wußte, daß er es nur aus Widerwillen nicht tat, hatte er sie nicht angerührt. Er hatte ihr gesagt: »Ich komme nur, um dir guten Tag zu sagen«, und hatte gelächelt, um sie nicht zu kränken, und er hatte zugeschaut, wie sie rauchte, klein und fett, mit ihren kümmerlichen Haaren, die ihr auf die Schultern hingen, und dem unschuldigen rosa Büstenhalter mit seiner zerschlissenen Stickerei.
    Und jetzt betrachtete Stefano die Versöhnung, die Elena ihm mit diesem Blumenstrauß anbot, als ein naives Friedensversprechen, eine unsinnige Belohnung, die ihm, mehr als Elena, das Schicksal für seine gute Tat zugedacht hatte. Natürlich hatte er Annetta nur geschont, weil er einfach keine Lust auf sie hatte, aber Stefano hatte noch nicht über seine heuchlerische Einfalt gelächelt, als ihn Entsetzen packte. Das gleiche Entsetzen wie am Strand, wie beim Feigenkaktus, bei dem Gedanken an den grünen Saf, der in sein Blut gedrungen war. Der gleiche Verdacht, wie an jenem Morgen, als er Gianninos Geschichte erfahren
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