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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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darauf, der macht mir Spaß.«
    »Aber da oben ist er doch nicht eingesperrt«, hatte Stefano schließlich gesagt, »er wird doch wohl spazieren gehen können?«
    »Machen Sie keine Witze, Herr Ingenieur. Der darf
nicht herunterkommen, und dort oben verstehen sie
sein Italienisch nicht.«
»Ist er jung?«
    »Carmineddo sagt, er habe einen Bart und gefalle dem Pfarrer nicht, weil er für die Frauen immer ein Wort bei der Hand hat. Vorläufig sitzt er auf dem Mäuerchen und genießt den Rundblick. Aber er braucht nur eine Hand auszustrecken, dann schmeißen die ihn runter …«
    Der Wachtmeister, der auf seinem Rad vorüberfuhr, bremste mit dem Fuß am Boden, wartete, bis Stefano bei ihm war, und lächelte ihm zu.
    »Das hat nichts mit Ihnen zu tun«, hatte er geantwortet. »Verhalten Sie sich ruhig und bleiben Sie im Dorf. Im Winter sind die Straßen schlecht.« »Ich verstehe«, hatte Stefano gemurmelt.
    Jetzt ging Stefano an Concias Haus vorüber und dachte an das lufige Gefängnis dort oben, an den engen Raum, der in den Himmel hineinragte und in der unverstellten Morgenklarheit senkrecht zum Meer hinunterschaute. Eine weitere Wand war seinem Gefängnis hinzugefügt worden, eine Wand, die aus einem undeutlich empfundenen Entsetzen, einer schuldbewußten Unruhe bestand. Verlassen saß auf dem Mäuerchen dort oben ein Mann, ein Schicksalsgenosse. Es war schließlich kein gar zu großes Risiko, ihm ein Wort zu gönnen und ihn aufzusuchen. Er hatte an seine »Solidarität« appelliert: das gehörte zu jener fanatischen und beinahe unmenschlichen Sprache, die sich zu einer anderen Zeit sanfer, aber nicht minder streng in dem Gebot, die Gefangenen zu besuchen, ausgedrückt hätte. Diese »freimütige Diskussion« und dieses »Recht« hatte etwas an sich, über das man lächeln mußte – und vielleicht hatte der Wachtmeister damals auf seinem Fahrrad in Erinnerung an ähnliche Worte gelächelt – aber Stefanos Fröhlichkeit wurde seiner Reue nicht Herr. Er war sich klar darüber, daß er sehr feige war.
    Mehrere Tage lang befürchtete er, Barbariccia könne zurückkommen und nach ihm suchen, und er täuschte sich über diese Befürchtung dadurch hinweg, daß er gleichzeitig an den Anarchisten und an Giannino dachte, die beide eingesperrt, aber von einer ganz anderen Entschiedenheit als er waren. Er stellte sich die ganze Welt als ein Gefängnis vor, in das man aus den verschiedensten aber wirklichen Gründen eingesperrt ist, und in dieser Phantasie fand er Trost. Die Tage wurden immer noch kürzer, und es begann wieder sachte zu regnen.
    Seit die Badesaison zu Ende war, wusch Stefano sich
    nicht mehr. Um sich zu erwärmen, ging er morgens in der Unordnung seines Zimmers unruhig auf und ab, und manchmal rasierte er sich übelgelaunt, aber seit vielen Wochen hatte er weder seinen nackten Oberkörper noch seine Schenkel gesehen. Er wußte, daß seine sommerliche Bräune verschwunden war und daß ein schmutziges Weiß jetzt die Farbe seiner Haut war; und an dem Tag, an dem er Elena mit Gewalt noch einmal besessen hatte, hatte er sich so schnell wie möglich von ihr losgemacht und im Dunkeln wieder angezogen, denn er fürchtete, wenn er zögerte, zu stinken.
    Elena war seines Wissens nicht wiedergekommen. Als er in den Laden gegangen war, um den Monat zu bezahlen, hatte er sie gleichgültig einen Passanten bedienen und dann einigermaßen uninteressiert über die Bemühungen ihrer dicken Mutter lächeln sehen, ihm etwas in ihrem Dialekt zu erklären. Und doch hatte er die ganze Zeit gespürt, wie ihre Augen mit einer Gespanntheit auf ihm ruhten, die keineswegs süß und schmachtend war, sondern ein düsterer, beinahe neidischer Akt des Besitzergreifens. Stefano hatte ihr plötzlich zugeblinzelt. Hochrot hatte Elena ihren Kopf gesenkt. Aber noch war sie nicht wiedergekommen. Im Halbdunkel der Regengüsse, die nur grollende Windstöße fortfegten, sank Stefano bis zur tiefsten Tiefe der Einsamkeit hinab. Entweder saß er in seinem Zimmer über dem Kohlenbecken, oder er ging unter dem Schutz eines albernen Regenschirms in die Wirtschaf, die am frühen Nachmittag fast menschenleer war, und bestellte einen Krug Wein. Aber sehr bald entdeckte er, daß die Zeit ein Feind des Weines ist. Man kann es auf einen Schwips anlegen, wenn man nicht allein ist oder einem jedenfalls etwas bevorsteht und der Abend kein gewöhnlicher Abend ist. Aber wenn die Stunden, unabänderlich und gleich, uns beim Trinken zuschauen und teilnahmslos
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