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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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Rätsel, weißt du?«
    »Was ist so rätselhaft, dass ich die dreihundert Mark Silber nicht genommen habe? Dafür hätte ich bezeugen müssen, dass ich mich einer List bedient habe, um ihn hereinzulegen. Aber das ist nicht wahr.« Sie konnte sich noch immer ereifern wie als junges Mädchen. »Ich habe keinen Trick gebraucht, damit man ihn für irrsinnig hält. Es war keine Absicht. Ich wusste ja selbst nicht mehr, dass die Tinte, die ich für mein Geständnis gebrauchte, von alleine verblassen würde. Und die vielen Abschriften, die am Ende durcheinandergeraten sind, hatte auch nicht ich, sondern nur dieser Felding zu verantworten.«
    »Aber das weiß ich doch.«
    »Also, wie kannst du dann in Frage stellen, wie ich gehandelt habe? Er hat sich wie ein Verrückter gebärdet. Ein jeder konnte das sehen. Es war gar nicht nötig, jemandem diesen Floh ins Ohr zu setzen. Warum um alles in der Welt hätte ich die Schuld auf mich laden und behaupten sollen, ich sei an seinem Irrsinn schuld? Hättest du Freude an dem Silberschatz gehabt?«
    »Nein, meine liebste Esther, nein, ich hätte keine Freude daran gehabt. Du hast recht gehandelt. Das ist es nicht, was mir ein Rätsel aufgibt.«
    »Sondern?« Sie blickte zu ihm auf, und er sah die nassen Spuren, die die Tränen auf ihren Wangen hinterlassen hatten.
    »Selbst so lange Zeit danach vermag ich nicht zu verstehen, was er mit seinem Vermächtnis bezwecken wollte. Er wollte sein Ansehen retten, aber er hat dich nicht verraten.«
    »Seine Liebe hat er mir gestanden«, sagte sie leise. »Er hatte wohl nicht viel Übung in diesen Dingen.« Sie schüttelte sich wie ein kleines Pony nach vollem Galopp. »Es spielt keine Rolle mehr, Vitus Alardus, ob wir ihn verstehen oder nicht. Die Kirche St. Gereon in Köln hat die Silbermünzen gewiss aufs beste verwenden können. Und uns ist es auch so nicht schlecht ergangen. Es war immer genug zu essen und zu trinken für unsere Kinder da, unser Haus ist prächtig. Selbst Kaspar und Malwine konnten wir so manches Mal unter die Arme greifen, wenn sie für ihre Kinderschar wieder einmal nicht genug hatten. Ich würde heute wieder genauso handeln wie damals.«
    Eine Weile standen sie bloß da, sagten nichts, sondern hielten sich nur fest in den Armen.
    Dann löste sie sich von ihm. »Es müsste noch etwas Tinte da sein. Ich richte dir alles an deinem Pult.«
     
    Vitus regelte seine Hinterlassenschaft so, dass Esther bis an ihr Ende versorgt war und ihr als Witwe nicht etwa nur, was oft genug geschah, die Morgengabe blieb. Nachdem das getan war, fühlte er sich zwar müde und hätte sich am liebsten ein wenig ausgeruht, doch stattdessen nahm er ein zweites Blatt Pergament zur Hand. Er schrieb:
    »Ich, Vitus Alardus, grüße Esther aus Schleswig, mein mir angetrautes Weib. Jetzt, da die Stunde meines Todes nicht mehr fern sein mag, will ich niederschreiben, was Du für mich getan und riskiert hast. Obwohl ich diese Zeilen an Dich richte, weiß ich doch, dass Du sie niemals lesen wirst. Nicht, dass Du es nicht vermöchtest. Ich weiß nur zu gut, dass Du des Lesens und Schreibens kundig bist wie kein anderes Weib, das ich kenne. Diese Fähigkeit hast Du, will mir scheinen, vor unendlich vielen Sommern genutzt, um nicht nur mir und meinesgleichen einen kostbaren Dienst zu erweisen, sondern Du hast auch Deiner Stadt Lübeck damit Unschätzbares geschenkt.
    Wenn Du einst unserem Schöpfer unter die Augen treten wirst, solltest Du ein Grabmal neben Bürgermeistern und Ratsmännern erhalten. Weil ich weiß, dass man Dir das verwehren wird, dass Du in aller Augen nur die Tintenmischerin und einfache Frau eines Englandfahrers sein wirst, schreibe ich diese Zeilen für die Nachwelt.«
    Nachdem er mit knappen Worten geschildert hatte, wie es dazu gekommen war, dass Esther eine Abschrift der Barbarossa-Privilegien verfasst und Domherr Marold sie in einen kleinen Ort bei Parma gebracht hatte, schlug er das Pergament in ein Wams ein, das er ohnehin nicht länger brauchen würde. Er trug das Bündel und eine Hacke in den Keller hinab. Mit der Hacke lockerte er den Boden und grub eine Mulde, gerade so groß, dass er das Bündel hineinlegen und mit Erde bedecken konnte. Zum Schluss trampelte er darauf herum und schob schließlich eine Kiste mit Wein darüber. Er wollte ganz sicher sein, dass das Schriftstück erst gefunden wurde, wenn niemand mehr am Leben war, der mit dem Barbarossa-Schwindel etwas zu tun gehabt hatte.
    Zufrieden betrachtete er sein Werk. Dann
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