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0574 - Der chinesische Tod

0574 - Der chinesische Tod

Titel: 0574 - Der chinesische Tod
Autoren: Jason Dark
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Als es klingelte, wußte Man Lei, daß es soweit war!
    Sie stand vor der Tür, das Gesicht verzerrt vor Angst, die Hände zusammengepreßt, zitternd und weinend.
    »Öffne, Man Lei! Wir wissen, daß du da bist. Wir haben alles genau im Griff, das weißt du doch.«
    Sie nickte. Ja, das wußte sie. Die Männer hatten alles im Griff. Sie bestimmten, nur sie. Sie nannten sich die Herren über Leben und Tod; sie richteten, sie vergaben, und das alles im Namen des Erhabenen aus Jade. Grausam waren ihre Rituale, schwer die Verbrechen, groß die Schuld, die sie auf sich geladen hatten.
    Man Lei ging auf die Tür zu. Obwohl sie längst nicht allein im Haus wohnte, war keiner da, der ihr zu Hilfe gekommen wäre. Die Angst der Menschen war einfach zu groß. Sie duckten sich, sie horchten, vielleicht beteten und hofften sie sogar, aber sie taten nichts, um die Boten der grausamen Zwerge aufzuhalten.
    Jetzt wollten sie wieder ein Opfer. Erst wenn der Rauch über die alte Opferstätte wehte, waren sie zufrieden.
    Jemand schlug so hart von außen gegen die Tür, daß sich der von innen vorgeschobene Riegel bewegte und das Holz anfing zu knirschen. Man Lei gab auf. Wenn sie nicht freiwillig öffnete, würden die Männer die Tür einschlagen.
    Sie dachte auch an die Vorwürfe der anderen Hausbewohner, wenn diese die zerstörte Tür sahen. Man würde sie aus der Gemeinschaft ausstoßen, und das in einem fremden Land!
    Deshalb antwortete sie. »Ich komme schon…«
    Ihre Schritte setzte sie langsam. Sie waren schwer wie Blei, die Sohlen schleiften über den Boden. Als sie den Riegel zurückzog, hatte sie das Gefühl, persönlich das Todesurteil über ihre Tochter gesprochen zu haben. Die Männer hatten Zeit. Sie drängten nicht, sie warteten so lange, bis die Tür offen war.
    Man Lei schaute die Eindringlinge an.
    Unbeweglich standen sie. Sie trugen die dünnen Haare zu ebenfalls dünnen Zöpfen geflochten, die ihre Köpfe einrahmten. Ihre Gesichter sahen grau aus – und unbeweglich.
    »Wo ist sie?«
    »Oben!« Die Antwort der Frau war kaum zu verstehen. »Sie… sie ist oben.«
    Die Männer betraten den schmalen Flur. Sie schoben die Frau kurzerhand zur Seite. In ihren Gesichtern regte sich nichts. Die Augen blickten grausam und kalt.
    Das Geräusch ihrer harten Schritte durchbrach die Stille. Aus den oberen Etagen ließ sich niemand sehen. Da hatten sich die Menschen zurückgezogen und waren froh, daß es sie nicht erwischte.
    Eine schmale Treppe stiegen die Eindringlinge hoch. Man Lei starrte ihnen nach. Der Ärmel des schmucklosen Kleides zeigte nasse Flecken, wo sie sich die Tränen abgewischt hatte. Sie schaute auf die Rücken der beiden Eindringlinge, die im Dämmerlicht des Treppenhauses verschwammen.
    Sie folgte ihnen nur langsam. Das Haus war sehr schmal und voller Menschen. Bis unter das Dach mußten die Männer gehen, dort wohnte Man Lei zusammen mit ihrer Tochter.
    Draußen lastete die Dunkelheit der Nacht. Sie drückte, sie war schlimm und wirkte wie ein Mantel, der alles überdecken wollte. Sie waren nicht in das Zimmer gegangen, warteten vor der Tür und schauten auf Man Lei nieder, die die Treppe hochkam.
    »Sag ihr, daß wir da sind, Man Lei. Hast du sie darauf vorbereitet? Weiß sie Bescheid?«
    »Ja, aber…«
    »Was sagt sie?«
    »Sie will es nicht glauben.«
    »Wir werden sie davon überzeugen, daß es besser für euch alle ist, wenn sie sich den alten Ritualen fügt.«
    Es waren schlimme Worte, auch wenn sie sich nicht so anhörten, aber Man Lei wußte, was dahintersteckte.
    Schwerfällig nickte sie. »Ich weiß, daß man oft Opfer bringen muß. Ich habe viele Opfer in meinem Leben gebracht, es gibt jedoch eine Grenze, die nicht überschritten werden darf.«
    »Für uns nicht.«
    Man Lei blieb an der Tür stehen, die Hand schon auf die Klinke gelegt. Sie nickte den beiden Männern zu. Die Angst aus ihren Augen war gewichen und hatte einem ernsten Ausdruck Platz geschaffen. »Doch, diese Grenze existiert auch für euch. Ihr seid Menschen, keine Götter. Daran solltet ihr euch gewöhnen.«
    »Mach schon auf!« Der Sprecher gab ihr einen Stoß, der sie bis gegen die Tür beförderte.
    Man Lei gehorchte. Keiner der beiden erriet ihre Gedanken. Als Chinesin hatte sie es gelernt, sich, zu beherrschen, und ihr Gesicht blieb diesmal ausdruckslos.
    Sehr bedächtig drückte sie die Klinke nach unten. Ihre Tochter hatte sie nie abgeschlossen, so war es auch heute. Man Lei drückte die Tür nach innen – und spürte den
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