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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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dauert es nicht einmal mehr ein Jahr, bis du mein Eheweib bist.«
    »Nur langsam«, sagte sie und lachte leise. Ihr Herz lief beinahe über vor Freude, aber dennoch musste sie ihn an ihre Strafe erinnern. »Du willst gewiss nicht mit einem Weib die Ehe eingehen, das jeden Tag im Johanniskloster die niedersten Arbeiten verrichten muss. Du wirst also warten müssen.«
    »Warum sollte ich? Nein, Esther, wenn du diese Arbeiten verrichten musst, weiß ich doch, dass du es meinetwegen tust. Nur für mich hast du dich darauf eingelassen, eine Fassung, noch dazu in Marolds Handschrift, anzufertigen. Das werde ich dir nie vergessen. Und wenn du dafür die Kloaken der Stadt reinigen müsstest, wäre ich noch immer stolz darauf, dich meine Frau nennen zu dürfen.«

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    Köln im Jahre 1231  – Josef Felding
    D ie Sonne schien hell auf die Gassen der Stadt. Felding war es recht, gutes Wetter bedeutete, dass viele Pilger in Köln unterwegs waren. Das wiederum war für ihn klingende Münze wert. Für heute hatte er genug, sein Schädel brummte. Nicht mehr lange, dann würde er ihn umbringen. Er eilte zurück in die Schmiergasse, wo er eine kleine Holzhütte bewohnte. Dort tat er, was er stets tat, wenn er die Tür hinter sich geschlossen und eine Öllampe entzündet hatte, der einzige Glanz und die einzige Vergeudung, die er sich erlaubte. Er holte den Sack mit seinem Silberschatz hervor, schüttete die Münzen auf die Holzkiste, die ihm als Tisch diente, und zählte. Dabei kicherte er vergnügt vor sich hin. Niemand ahnte, dass er sich einen Teil seines Reichtums, den er sich als angesehener Kaufmann hatte erwerben können, bewahrt hatte. Schön, so manche Mark Silber hatte er aufwenden müssen, um Leute für seine Zwecke einzuspannen. Mit einem Irren wollte keiner etwas zu schaffen haben. Er hatte es sich etwas kosten lassen, sein kleines Haus, die Waren, die er noch besaß, und weitere Gegenstände, die von Wert gewesen waren, an den Mann zu bringen. Viel zu wenig hatte er für all das bekommen, doch war es ihm gleichgültig. Er formte kleine Türme aus den Münzen, alle gleich hoch. Der Schweiß lief ihm aus allen Poren. Es wäre günstig, den Fensterladen zu öffnen und frische Luft hereinzulassen, doch das gestattete er sich niemals.
    Felding hockte auf dem Boden und zählte flüsternd die Türmchen. Zum Schluss legte er die Pfennige dazu, die wohltätige Pilger ihm heute gegeben hatten. Scharenweise strömten sie noch immer in seine Stadt, um die Gebeine der Heiligen Drei Könige zu bewundern. Oder zumindest den Schrein, in dem man sie vermutete. Er selbst glaubte nur, was er sah. Und er hatte diese Gebeine, die man in dem Jahr nach Köln gebracht hatte, in dem er zur Welt gekommen war, noch niemals gesehen. Trotzdem kamen die Leute, warfen sich auf die Knie und spendeten freigiebig für ihr Seelenheil. Es war nicht schwierig, seinen eigenen Nutzen daraus zu ziehen. Nicht für einen gerissenen Kerl wie ihn. Immerhin war das Wunder des Josef Felding sogar wahr. Man hatte ihm den Schädel aufgebohrt, damit das Böse, das seinen Geist verwirrt hatte, davonfliegen konnte. Davongeflogen war nichts. Jedenfalls hatte er nichts bemerkt. Nichts außer unmenschlichen Schmerzen, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht kennengelernt hatte. Diese Qualen hatten ihm vollends die Sinne geraubt. Dass er nicht wie die meisten Jammergestalten, denen man diese Heilmethode zuleide tat, daran gestorben war, konnte man wahrhaftig als Wunder bezeichnen. Die frommen Pilger glaubten ihm daher auch erst, wenn er die Narrenkappe, die er zu tragen verpflichtet war, lüpfte, um sie einen Blick auf das winzige Loch werfen zu lassen. Es ging ihnen wohl wie ihm, auch sie glaubten trotz aller Frömmigkeit nur, was sie sahen.
    Pfennig um Pfennig schob er von einer Seite auf die andere. »Sieben, acht.« Immer aufgeregter wurde er. Er sah das Ergebnis deutlich vor sich, hätte nicht mehr zu zählen brauchen. »Neun, zehn!«, jubelte er. Hastig ließ er die Münzen wieder Stapel für Stapel in den Sack fallen. Dabei kicherte er wiederum, lauter als zuvor, Speichel lief ihm aus dem Mund und das Kinn hinunter. Er liebte das helle Klirren des Silbers, lauschte auf jeden Klang, der ihm noch einmal mit der schönsten Stimme, die man sich nur vorstellen konnte, die Anzahl der Silberstücke und Pfennige zu singen schien. Nachdem sein Konzert beendet war, kroch er in einen Winkel des Raums, schob den Sack in die Erdmulde im Boden seiner Hütte, aus der er
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