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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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ihn geholt hatte, und legte zwei Holzbretter darüber. Alles wie immer. Er kroch zurück zu der Holzkiste. Im Grunde war alles wie immer. Und doch, heute war etwas anders. Zum einen nässte das Loch in seinem Schädel inzwischen so unappetitlich, dass selbst der bravste Pilger bald das Weite suchen würde. Felding wusste, was das bedeutete. Auch die immer schlimmer werdenden Schmerzen und die plötzliche Dunkelheit, die ihn immer häufiger aus dem Nichts überfiel und umfing, waren deutliche Zeichen. Es ging zu Ende mit ihm. Glücklicherweise hatte er, und das war das andere, was diesen Tag von denen zuvor unterschied, endlich die nötige Summe zusammen, mit der er das letzte Vorhaben seines Lebens, das er sich fein ausgedacht hatte, würde in die Tat umsetzen können. Er lachte und ließ sich auf den Rücken rollen. Der Schmerz wurde im Liegen jedoch unerträglich. Es fühlte sich an, als wollte ihm der Kopf zerspringen, als wollte ein Riss von dem Loch bis zu dem Ohr auf der anderen Seite laufen. Er stöhnte. Mühsam rappelte er sich wieder auf und hielt sich an der kleinen Kiste fest, die vor ihm stand. Ausruhen, die Augen schließen, dem Pochen und Reißen entfliehen, nur für einen winzigen Moment. Dann würde er sein Vermächtnis aufsetzen. Es war an der Zeit.
     
    Als Josef Felding wieder zu sich kam, wischte er sich den Schweiß von der Stirn und den Nasenflügeln. Es war unerträglich drückend. Er konnte nicht atmen. Er zerrte an dem Narrenkittel, der ihm mit einem Mal zu eng erschien. Nur jetzt nicht die Kontrolle verlieren. Er zwang sich, an sein Vorhaben zu denken. Wie viele Sommer hatte er darauf gewartet! Wie viele Sommer war es her, dass sie ihn aus Lübeck fortgejagt, nachdem sie ihm dieses Loch in den Kopf gebohrt hatten? Er wusste es nicht mehr. Dabei hatte er sich so fest vorgenommen, es niemals zu vergessen. Doch was machte es schon für einen Unterschied? Dafür hatte er nicht vergessen, was diese aufgeblasenen Lübecker ihm angetan hatten. Pah, was sie sich nur einbildeten! Sie behaupteten doch wahrhaftig, ihre Stadt sei die Königin, die schönste und bedeutendste von allen. Lächerlich! Köln hatte schon ein Rathaus besessen, da war von Lübeck noch nicht einmal die Rede! Nur einen albernen Hügel, auf dem Wilde hausten, gab es, wo jetzt die Stadt ihre Türme großmäulig in den Himmel reckte. Er stellte sich Türme mit gigantischen Mäulern vor und lachte laut auf. Im nächsten Moment verzerrte sich sein Gesicht vor Wut. Dieser schmierige Gockel mit dem schwarzen Haar hatte sich in seine Gedanken geschlichen. Was er sich nur erdreistet hatte! Die Kaufleute Kölns hatten lange vor denen Lübecks Handel mit England getrieben. Aber er führte sich auf, als wäre es ein Lübecker Privileg, Getreide und andere Waren nach London zu schaffen. Felding spuckte seinen Ekel und seinen Zorn auf den Boden.
     
    Esther! Jeden Tag dachte er an sie. Noch nie war er auf so niederträchtige Weise vorgeführt worden. Sie war eine Hexe. Es konnte nicht anders sein. Wie sonst hätte das Pergament leer sein können, auf das sie ihr Geständnis geschrieben hatte? Seine Eingeweide krampften sich zusammen, als er daran dachte, wie er vor dem Domherrn dagestanden hatte. Vorgeführt, noch dazu von einem Frauenzimmer! Diese Schmach würde er niemals vergessen. Nicht nur ihr Geständnis hatte sie verhext, nein, auch dieses vermaledeite Dokument, das sie von seiner Wachstafel abgeschrieben hatte. Er hätte sie brennen lassen sollen!
    Felding zerrte an dem Deckel der Holzkiste, dem einzigen Möbelstück, das es in seiner Hütte gab. Wie ein Narr hatte sie ihn aussehen lassen, während sie mit diesem schwarzhaarigen Schnösel ihren Triumph aus vollstem Herzen genossen hatte. Endlich löste sich der Deckel. Er holte den Bogen Pergament, einen Gänsekiel und die Schweineblase mit der getrockneten Tinte hervor. Keinen einzigen Buchstaben hatte er seit damals geschrieben. Jetzt würde er es tun. Esther, dieses dreckige Weibsstück! Er hasste sie! Mühsam stemmte er sich auf die Kiste und richtete sich auf. Erneut brach ihm der Schweiß aus. Er schleppte sich zur Tür, lehnte sich gegen das rauhe Holz und nahm ein paar Atemzüge. Die Dunkelheit verflog. Er öffnete die Tür und taumelte hinaus. Luft! Die Sonne verschwand hinter den stolzen Häusern Kölns. Felding lief zu dem Brunnen. Wie immer, wenn er sich auf der Gasse zeigte, machten einige einen Bogen um ihn, während andere mit dem Finger auf ihn zeigten. An einigen Tagen
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