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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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kam es vor, dass Menschen ihn mit Brotkrusten und manchmal sogar Steinen bewarfen. Wenn er Glück hatte, jagte ein mitleidiges Weib oder ein gottesfürchtiger Mann sie davon. Er selbst störte sich nicht daran. Er wusste, wer hier die Narren waren. Oder hatten sie etwa einen kleinen Schatz in ihren Hütten verborgen? Er kicherte schief in sich hinein, als er den Wassereimer nach oben hievte. Mit einer Hand schöpfte er das kühle Nass und schüttete es sich in das Gesicht und in den Nacken. Herrlich! Dann erst goss er Wasser in die Schweineblase und beeilte sich, zurück in seine Behausung zu kommen.
    Er hockte wieder am Boden. Mit dem kahlen, gespitzten Ende der Feder stocherte er so lange in der Blase herum, bis der Brocken getrockneter Tinte sich allmählich löste. Er hatte es nicht etwa vermieden zu schreiben, weil es Schriftstücke waren, die ihn ins Unglück gestoßen hatten. Nein, es war die Nähe zu Esther, die er nicht ertragen konnte. Es war schon schlimm genug, sie jeden Tag aufs Neue aus seinen Gedanken verscheuchen zu müssen. Hätte er jedoch Schreibzeug zur Hand genommen, so hätte er sich ebenso gut sein Langsax ins Herz stoßen können. Augenblicklich hätte er ihre zarte Hand vor sich gesehen, hätte sich daran erinnern müssen, wie sanft sie die Feder gehalten, wie unfassbar schön sie die Tinte auf das Pergament gebracht hatte. Er schüttelte unwillig den Kopf, um diese törichten Gedanken zu vertreiben. Im nächsten Moment fiel ihm die Feder aus den Fingern, die Schweineblase kippte um, blauschwarze Tinte ergoss sich auf den Lehmboden.
    »Nein!« Er packte zu, riss mit einer Hand das weiche Tintengefäß hoch und griff sich mit der anderen an den schmerzenden Schädel. Ganz ruhig, nur die Ruhe. Er atmete ein und aus und wagte dann, nach dem Pergament zu sehen, das gottlob nichts abbekommen hatte. Auch war noch Farbe in dem Beutelchen, genug, um sein Vermächtnis aufzusetzen. Er keuchte.
    »Sieh nur, wohin du mich gebracht hast, elendes Weib!« Seine Stimme war rauh und brüchig. Sie trug die Schuld an alledem. Dafür hasste er sie. Er wollte es so gerne. Aber nein, sosehr er sich auch mühte, er konnte keinen Hass für sie empfinden. Vielleicht war das seine schlimmste Strafe, dass er sie noch immer wollte. Und zwar nicht nur ihren Körper. Er schämte sich abgrundtief. Wie konnte er für eine Frau, die ihm die größte Schmach seines Lebens zugefügt, die ihn um alles betrogen, was er sich je erschaffen und gewünscht hatte, etwas anderes empfinden als blanken Hass? Er wollte nicht sein wie all diese lächerlichen Gestalten, die sich zum Popanz machten aus Liebe. Was sollte das sein, Liebe, wenn man davon kopfalbern wurde, wenn man nicht mehr länger Herr seiner Sinne war? Liebe, pah, er konnte sich nichts Überflüssigeres ausmalen. Wieder dachte er an Esther. Wie viel Angst sie vor ihm gehabt hatte. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Warum nur hast du mir nicht geglaubt? Sie hatte ihn nicht in den Regen gejagt. »Ich schicke Euch nicht fort«, hatte sie gesagt. Ein warmes Gefühl durchströmte ihn. Nicht unangenehm wie die schwüle Hitze in der Hütte, sondern behaglich, so dass er sich wünschte, es bliebe für immer da.
     
    Zuerst hatte er sich gewehrt, hatte behauptet, er sei nicht verrückt, sondern aufs Kreuz gelegt worden von einer Hexe. Sie hätten ihm um ein Haar geglaubt, fragten ihn nach ihr, wollten alles über sie wissen. Sie hatte ihn nicht in den Regen geschickt, also hatte er sie auch nicht der Verfolgung preisgegeben. Als Hexe hätte man sie verbrannt, das war sicher. Aber er hatte sie schon zuvor nicht brennen lassen können. Und er konnte es auch jetzt nicht, als er damit hätte seine Haut retten können. Also hatte er sich darauf verlegt, Faxen zu machen, blöd zu gackern und zu hüpfen, so dass sie schließlich doch überzeugt waren, es mit einem Irren zu tun zu haben. Gut so. Seither konnte er ungehörige Reden führen, wenn ihm danach zumute war. Er konnte sich Brot oder Fisch stehlen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Freiheit eines Narren hatte einiges für sich, fand er. Wie viel länger hätte es gedauert, seinen Schatz anzuhäufen, wenn er sich sein Essen stets hätte kaufen müssen. Und es kam noch besser. Wenn er sich am Ende dieses Tages eine Klinge in die Brust bohren würde, dann käme er auch damit durch. Wer sich selbst tötete, wurde von der Kirche verstoßen, man verweigerte ihm ein anständiges Begräbnis und verscharrte ihn auf
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