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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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Brauen an. Thea Benning, fast sechzig und zwei Jahre älter als ihr Bruder Zacharias, war kleiner als er, so rundlich wie er
     hager und ihre Nase so klein und spitz wie seine kräftig. Sie hatte immer noch die rosige Haut einer weit jüngeren Frau. Während
     sein Gesicht von Wind, Wetter und zu viel schlechter Gallevon tiefen Falten durchfurcht war, zeigte ihres nicht viel mehr als freundliche Runzeln. Thea Benning, sagten die Leute, sei
     in jungen Jahren heimlich zum Wunderbrunnen nach Borgfelde gepilgert und es sei ein Glück, dass Anna mehr ihrer Tante gleiche
     als ihrem Vater.
    Theas Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. Viele fürchteten Zacharias Hörne, denn er war tatsächlich nicht besonders
     freundlich und forderte stets den größten Respekt. Für sie aber war er einfach nur ihr Bruder. Ein Mann, den sie mochte, meistens
     sogar liebte, seit sie denken konnte. Ein Mann, von dem sie wusste, dass er bei all seiner Knorrigkeit schwarze Kirschen über
     alles liebte, als Junge unter schrecklicher Seekrankheit gelitten hatte und bei einem besonders schönen Sonnenaufgang über
     der sommerlichen Flusslandschaft ergriffen schwieg.
    «Davon, dass du mich so grimmig anstarrst, Zacharias, wird mir nicht wärmer. Sollen wir in der Kälte anfrieren? Pass auf,
     beinahe hätte ich dich bei einem Lächeln erwischt.»
    «Behalt’s für dich», brummte er, nun tatsächlich schmal lächelnd, einem alten Geschwisterspiel folgend. Er trat ein und schloss
     die Tür. Behagliche Wärme und der würzige Geruch von Torf- und Buchenholzfeuer umfingen ihn, und ausnahmsweise knurrte er
     heute nicht, dass sie mal wieder verschwenderisch mit dem Feuerholz umgehe. Er zog seine Jacke aus schwerem schwarzbraunem
     Tuch aus, und während er sie an den Haken neben der Haustür hängte und seiner Schwester in die Wohnstube folgte, horchte er
     auf die Geräusche des Hauses. Da war das Knistern des Feuers, das Ticken der Wanduhr und das Maunzen des dicken rot-weißen
     Katers, der – respektloswie seine Herrin – um seine Beine strich. Sonst war es still.
    Als er in die Stube trat, saß Thea schon in ihrem Lehnstuhl am Fenster. An klaren Tagen ging der Blick von hier über den Uferweg
     und ihren dahinterliegenden, zum Strand abfallenden Garten, weiter über den Fluss zur Mündung des Köhlbrand genannten Nebenarmes
     der Süderelbe zwischen den Inseln bis hinüber ans andere Elbufer.
    «Wenn du Kaffee magst, die Kanne steht auf dem Ofen, die Tassen – aber das weißt du ja.»
    «Kaffee!?», sagte er, und sie nickte vergnügt: «Ja, Kaffee. Am Vormittag, zudem an einem ganz gewöhnlichen Dienstag. Nun setz
     dich endlich und mach auch ein Gesicht wie an einem ganz gewöhnlichen Dienstag. Oder», plötzlich saß sie sehr aufrecht, «oder
     ist etwas mit den Jungen?»
    «Aber nein.» Zacharias schüttelte ungeduldig den Kopf. Immer sorgte sie sich gleich, dass etwas mit den Jungen sei. «Solange
     wir nichts von ihnen hören, gibt es keinen Grund zur Sorge. Jacob ist jetzt wohl auf seinem Holländer unterwegs nach der afrikanischen
     Goldküste, und Hanns – weiß der Teufel, wo sein Schiff sich rumtreibt. Kann gut sein, dass es schon vor Cuxhaven liegt und
     hier einläuft, sobald der Nebel und das letzte Eis weg sind. Die Hamburger Lotsen sind schon seit zwei Wochen draußen. Nein,
     es ist nichts mit den Jungen. Mit denen ist nie was.»
    Er nahm eine Tasse aus dem verglasten Wandschrank, trat an den Kachelofen und bediente sich aus der messingnen Kanne. Er liebte
     Kaffee, auch wenn er es niemals zugegeben hätte und nicht fand, dass dieses teureGetränk, von dem auch viele sagten, es sei nicht gut für den Geist und nur der Sünde förderlich, in das Haus einer ehrbaren
     Lotsenwitwe gehörte. Er nahm reichlich Sahne und Zucker, wenigstens war es der billigere bräunliche, rührte um und sagte:
     «Nun.» Rührte weiter, und als seine Schwester immer noch beharrlich schwieg, blieb ihm nichts, als endlich zu fragen: «Und
     Anna? Wo ist Anna?»
    «Das gute Kind.» Thea strich sanft über ihre schwarzen Röcke und zupfte zierlich ihr graues Schultertuch zurecht. «Deine Tochter
     hat sich trotz dieses schrecklichen Wetters nach Altona aufgemacht. Uns sind Butter und Honig ausgegangen, stell dir vor,
     und bei Rogge soll es noch chinesischen Tee geben. Es ist wirklich Zeit, dass die Elbe wieder frei wird. Das Eis und nun noch
     dieser Nebel. Glaubst du, dass es bald aufklart und endlich Wind aufkommt? Aber in diesem
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