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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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immer noch süß von der Wärme des Tages, umschloss sie tröstlich, als wolle
     auch er sich verabschieden. Sie zog die Schuhe aus den Jackentaschen, schlüpfte hinein und huschte über den Hof. Zum Glück
     war nur die Auffahrt zur vorderen Treppe mit knirschenden Kieseln bestreut,so verschwand sie geräuschlos hinter den Rosenbüschen des Lustgartens.
    Die Hunde erwarteten sie am Rande der dahinterliegenden, mit Obstbäumen bestandenen Wiese. Sie hörte ihr Knurren schon, bevor
     sie die schwarzen Körper in der Dunkelheit sah. Sie hockten da, einer neben dem anderen, mit aufgestellten Ohren und schiefgelegten
     Köpfen. Aber sie bellten nicht. Sie kamen heran, rieben ihre struppigen Köpfe an ihren Knien, stupsten ihre Nasen gegen ihre
     Hände, und der jüngste, schwarz wie die anderen, doch mit einer weißen Blesse auf der Brust, begleitete sie bis zu der Stelle
     an der Gartenmauer, an der ein kleines, hinter dickem Efeu fast verborgenes Tor ihr den Weg in die Freiheit öffnete. Sie schlüpfte
     hindurch, und als sie sich ein letztes Mal umsah, glaubte sie die Blesse noch in der Dunkelheit schimmern zu sehen. Sie lauschte
     auf das winselnde Jaulen des Tieres, wandte sich eilig um und verschwand in der Nacht.

Im Martius
1769

KAPITEL 1
    MITTWOCH, DEN 8.   MARTIUS,
MORGENS
    In der Nacht waren die Pfützen wieder zu kleinen Inseln aus dünnem Eis gefroren. Sie zerbrachen knirschend unter den Stiefeln
     des Mannes, der, den Kopf gegen die feuchte Nebelluft gesenkt, entlang der Elbe nach Altona ging. Der dumpfe Klang der Stampfbalken
     in den Trögen der Neumühlener Pulvermühle versickerte schon hinter ihm in dem wattigen Dunst, trotzdem glaubte er noch den
     Schwefel und die Kohle aus Lindenholz zu riechen. Aber das war unwahrscheinlich, denn es fehlten nur noch wenige Schritte
     bis zu Butts Leimsiederei. Der Gestank der tagelang in mächtigen Kupferkesseln vor sich hin köchelnden Häute, Knochen und
     Fischschuppen, der Abfälle der Gerber, Schlachter und Abdecker ließ alle anderen Gerüche umgehend vergessen. Die von der Tranbrennerei
     vielleicht ausgenommen.
    Doch dann fiel ihm ein, dass die Feuer unter den Kesseln in Butts Schuppen in den letzten Wochen kalt geblieben waren. Weil
     Butt bankrott sei, hieß es. Weil er nur noch Leim aus Waltran-Grieben kochen wolle, behauptete hingegen Butt, denn der sei
     der beste. Was gewiss nicht stimmte, aber tatsächlich konnte der Leimsieder den ausgekochten Walspeck nur bekommen, nachdem
     die Grönlandfahrer mit ihrer fetten Ware wieder eingelaufenwaren. Das würde noch Monate dauern – bis zum Spätherbst. Noch lagen die wuchtigen kleinen Schiffe wie alle anderen in den
     Häfen fest.
    Allerdings nicht mehr lange. Auch wenn es in den letzten Nächten wieder gefroren hatte, wenn auf der Elbe noch Eisschollen
     trieben, dünn und scharf wie Messer, würden bald Walfänger mit ihren großen Seeschiffen auslaufen. Deren Schiffsbäuche, am
     Bug innen durch Streben, außen mit Eisenplatten verstärkt, waren für die Meere am Rande der nördlichen Eiswüsten gewappnet,
     die letzten Schollen im Elbwasser konnten ihnen nichts anhaben. Auf den Schiffen der Walfänger, zumeist Fluiten und Barken,
     in den Häfen von Hamburg und Altona herrschte schon lange Geschäftigkeit, die Mannschaften waren längst geheuert, und es war
     nur noch eine Frage weniger Tage, bis die Walfangflotten in Hamburg und Altona Segel setzten.
    Falls endlich Wind aufkam, den Nebel vertrieb und die Segel füllte. Seit Tagen schon lag die graue Decke über dem Land, als
     hielten sie die zahlreichen Arme, in die der breite Fluss sich südlich von Hamburg teilte, gefangen. Nur gegen Mittag wurde
     der Nebel dünner, und gestern hatte sogar die Sonne als matter weißer Fleck durch den Dunst geschimmert.
    Zacharias Hörne kroch tiefer in seine dicke Jacke, bohrte die Fäuste in die Taschen und machte längere Schritte. Zwei Fischerknechte
     kamen ihm mit einer Schubkarre voller neuer Hanfseile entgegen und grüßten mehr als höflich, wie alle den Ältermann der Övelgönner-Neumühlener
     Lotsen stets grüßten. Er beachtete sie nicht, und die Knechte erzählten später dem Kalkbrenner, Zacharias Hörne sei heute
     mal wieder in ganz besondererStimmung. Wo doch einer, der es so weit gebracht habe wie er, alle Tage bester Laune sein müsste.
    Zacharias Hörne war selten bester Laune, und in den vergangenen Monaten erst recht nicht. Sein hitziges Temperament gab ihm
     in leichten Zeiten die für
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