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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott
Autoren: Richard David Precht
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Anna und die Schule
    Anna malt in der Schule ein Bild. Nach einer Weile tritt der Lehrer hinzu und betrachtet neugierig das Gemalte. » Na, Anna « , fragt er, » was malst du denn da? « – » Ich male den lieben Gott « , antwortet Anna. » Aber, Anna « , widerspricht der Lehrer. » Der liebe Gott – den kann man doch gar nicht malen. Da weiß doch niemand, wie er aussieht. « – » Warten Sie noch fünf Minuten « , sagt Anna, » dann wissen Sie es! « 1
    Diese kleine Anekdote ist eine der Lieblingsgeschichten eines großen Entertainers: des britischen Pädagogen und Erziehungsberaters Ken Robinson. Für seine Verdienste um die Bildung zum Ritter geschlagen, berät Robinson Theater wie die Royal Shakespeare Company, das Royal Ballet, aber auch die Europäische Kommission, den Europarat und die UNESCO . Seine Botschaft im Hinblick auf das gegenwärtige Schul- und Bildungssystem ist eindeutig und unmissverständlich: Schule tötet Kreativität!
    Intelligenz ist das, was man benutzt, wenn man nicht weiß, was man tun soll. Und Kreativität ist das, was man einsetzt, wenn man nicht weiß, was genau dabei herauskommt. Unser Schulsystem, nicht nur in der westlichen Welt, sondern in vielen OECD -Staaten, fördert weder Intelligenz noch Kreativität. Als » Kompetenzen « definiert, durch Lehrpläne festgelegt, in » Fächer « parzelliert, in Fünfundvierzig-Minuten-Häppchen portioniert, in Klausuren und Tests abgefragt und durch Zensuren bewertet, steht von vornherein fest, was exakt ein Schüler tun und was dabei als Ergebnis herauskommen soll.
    Gibt es zu unserem bestehenden Schulsystem eine Alternative? Könnte man das, was millionenfach in unseren Schulen auf ähnliche Weise gelehrt wird, auch ganz anders lehren? Wäre eine Schule denk- und machbar, die in weit stärkerem Maße als bisher die Intelligenz und Kreativität unserer Kinder fordert und fördert?
    Dieses Buch ist für Lehrer geschrieben, einen Berufsstand, den ich über alles schätze und dem ich als Hochschullehrer an zwei Universitäten selbst angehöre. Es möchte den Hunderttausenden von Lehrern, die mit den gegenwärtigen Verhältnissen unzufrieden sind, Mut machen und ihnen helfen, aus alten Rollenmodellen und einem ineffektiven überholten System auszubrechen. Es soll sie dazu inspirieren, an einem möglichen und notwendigen Fortschritt im Interesse unserer Kinder mitzuarbeiten. Es möchte ihnen Alternativen vorstellen oder in Erinnerung rufen und Schuldirektoren konkrete Perspektiven aufzeigen, für die es sich lohnt zu kämpfen.
    Dieses Buch ist ebenso für Schüler geschrieben. Ich möchte, dass unsere Kinder schon sehr bald in Schulen gehen, in denen ich auch gern gewesen wäre. Dass sie von Lehrern, die ich gern selbst gehabt hätte, ihre Neugier bewahrt und gefördert bekommen. Dass sie ihnen einen Sinn vermitteln für die Schönheiten des Lebens und der unendlichen Wissenswelten, in die einzutauchen einen tiefen und nachhaltigen Lust- und Dimensionsgewinn bedeutet. Dass sie in eine Schule gehen, in der sie sich anerkannt und verstanden fühlen, sodass sie begeistert lernen.
    Dieses Buch ist für Eltern geschrieben. Es möchte ihnen Argumente liefern, um gegen eine bestehende Praxis aufzubegehren, die vielen von ihnen Kopfschmerzen bereitet und sie oft ohnmächtig zurücklässt. Es soll zeigen, dass eine Bildungsrevolution in Deutschland machbar ist – und zwar nicht nur langfristig, sondern dass sie unmittelbar bevorsteht. Und dass Kinder, die heute in die Grundschule gehen, bereits davon profitieren werden, falls die Bewegung nur strategisch geschickt vorgeht und konsequent und solidarisch genug ist.
    Und dieses Buch ist nicht zuletzt für Bildungspolitiker geschrieben, die in den kommenden Jahren vor gewaltigen Herausforderungen stehen werden. Sie müssen die größte Strukturveränderung unseres Bildungssystems seit den sechziger Jahren ermöglichen und erfolgreich umsetzen. Das Buch möchte dabei helfen, alte Freund-Feind-Linien aus vergangenen Tagen unserer Republik zu überwinden. Und es möchte Mut zum Träumen geben und die Fantasie im Hinblick auf einen neuen sozialen Kubismus anregen.
    Die Diagnosen und Perspektiven, von denen dieses Buch handelt, sind dabei nicht aus Naivität geboren wie der Liebreiz der Venus aus dem Schaum. Sie verdanken sich ungezählten Gesprächen mit Schülern, Eltern, Lehrern, Schuldirektoren, Pädagogik-Professoren und Bildungspolitikern. Ich habe mich in viele Klassenzimmer in ganz verschiedenen
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