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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott
Autoren: Richard David Precht
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Wissenschaftspublizisten Ernst Peter Fischer zum Gegenschlag: Die andere Bildung. Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. Beiden Büchern gemein ist die Vorstellung, dass Bildung gleichbedeutend ist mit Wissen. Oder genauer: mit einem konkreten Bescheidwissen über ausgewählte Dinge. Sie ist, so könnte man daraus folgern, so etwas wie die mentale Vorratsdatenspeicherung kanonisierter Sachverhalte – eine Art innere Bibliothek mit Schnellzugriff. Etwas, das man bei Günther Jauch abrufen kann, um Millionär zu werden. Etwas, woran Gebildete sich erkennen, um sich von Ungebildeten zu unterscheiden.
    Aufstieg und Sinn eines solchen Bildungsbegriffs stammen wesentlich aus dem 18. Jahrhundert, aus der Zeit, als das aufstrebende Bürgertum den Besitzern von Rittergütern seine Bildungsgüter entgegensetzte. » Wissen ist Macht « – die alte Formel des englischen Renaissancephilosophen Francis Bacon bekam nun eine breite gesellschaftliche Bedeutung. Von nun an galt dem Bürgertum Bildung als Synonym für den sozialen Aufstieg – aber auch als Standesprivileg des sogenannten Bildungsbürgertums gegenüber dem Kleinbürgertum, den Bauern und der Arbeiterschaft. Wer gebildet war, wurde geachtet, wenn auch auf einem schmalen Grad an Bildungsetikette. Wie der Adel das Halbseidene, so verachtet der wahrhaft Gebildete den Bildungsphilister und den Bildungsspießer ob seiner Bildungshuberei. Im Zweifelsfall gilt ihm der aufrecht Ungebildete mehr als der Halbgebildete. Was für ein » herrlich unverbildeter Typ « rühmte einst der Sportmoderator Dieter Kürten den Fußballtrainer Michael Lorkowski.
    Das Wort » Bildung « ist heute in aller Munde. Niemand spricht sich in einer öffentlichen Debatte gegen Bildung aus. Politiker, Popstars, Poeten, Propheten und Professoren plädieren für mehr Bildung. Wirtschaftskreise haben einen » Aktionsrat Bildung « gegründet. Und dass die Bildung unserer Kinder das Wichtigste überhaupt sei für die Zukunft unseres Landes, daran lässt niemand einen Zweifel. Wer eine große Investition in die Bildung fordert, hat das Publikum auf seiner Seite. Das Problem ist nur: Jeder denkt dabei an etwas anderes! Für die einen bedeutet ein Mehr an Bildung ein Mehr an Fachkräften für den Standort Deutschland. Für andere ist Bildung in erster Linie Gewaltprävention, weil gebildete Menschen sich in der Regel seltener körperliche Gewalt antun als ungebildete. Wiederum andere fahnden eifrig und verzweifelt nach den optimalen Bildungschancen ihrer Kinder, um sie auf einem angeblich immer heißer umkämpften globalen Weltmarkt mit jenem Kapital auszustatten, das sich am besten durch Erfolg verzinst. Und während die einen weniger Filter durch Klausuren, Tests und Noten verlangen, wünschen sich die anderen ein Leistungsniveau so hoch wie möglich.
    Passen alle diese Vorstellungen in ein einziges Wort? Die alten Germanen hatten wahrscheinlich keine Ahnung davon, was für ein Ungetüm sie gebaren, als sie das Wort bildunga prägten, um damit das zu bezeichnen, was erschaffen war und gestaltet. Explizit auf den Menschen wurde Bildung allerdings erst im Mittelalter von Meister Eckhart angewendet: Wer sich bildet, der strebt Gott nach und ergibt sich darein, sich mit Gottes Hilfe zu vervollkommnen. Gebildet wird der Mensch demnach nicht allein durch eigene Kraft, sondern dadurch, dass Gott ihn formt. Menschlich ist die Anstrengung, göttlich das Resultat. Erst in der Renaissance schwindet der Anteil Gottes an der Selbstschöpfung des Menschen durch Bildung zugunsten des mühseligen Eigenanteils. Sich bilden wird fortwährende Arbeit an sich selbst. Durch den stückweisen Erwerb von Bildung zeichnet der Mensch sein Gesicht.
    Die Fortsetzung und zugleich seinen Höhepunkt erreicht das Bildungsziel » Bildung « im 18. Jahrhundert. Das moderne säkulare Menschenbild gebiert den Gedanken, dass alle Menschen » bildsam « seien. Alle können gebildet werden, insofern sie sich Mühe geben. Ob jemand Bildung erwirbt, ist demnach vor allem eine Frage des Umgangs mit sich selbst. Der Gebildete setzt sich zu sich selbst in ein Verhältnis. Das Ich wird, in einer Formulierung des Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762 –1814), zum » Werk meiner Selbst « . Man expandiert seinen Horizont. Denn der gebildete Mensch hat mehr vom Leben – jedenfalls im Prinzip. Jean-Jacques Rousseaus Satz, dass nicht diejenigen am meisten gelebt haben, die am ältesten werden, sondern diejenigen, die am meisten gefühlt
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