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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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schweigen, und Rudolf, Gesines Ehemann, Kulissenmaler und Maschinenmeister, hörte schon auf
     der Treppe das Geschrei und eilte, ohne den Raum auch nur zu betreten, umgehend zurück zu seinen Pinseln, Flugwerken und Donnermaschinen.
     Schließlich ging allen die Luft aus, und als selbst Jean nichts mehr einfiel, verkündete Helena in die plötzliche, nur noch
     von Gesines leisem Schluckauf unterbrochene Stille, da es dem Herrn Prinzipal nicht gelinge, eine geräumigere Wohnung für
     seine Leute zu finden, werde sie zumindest für neue Korbtruhen sorgen, um die kostbaren Kostüme und Bücher vor seinem Ungeschick
     in Sicherheit bringen zu können. Da könne Jean noch so viel jammern, dass deren Anschaffung zu teuer und im Budget nicht vorgesehen
     sei.
    Am Morgen hatte sie sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg zum Korbflechter im Pötgergang gemacht, zwei Korbtruhen mittlerer
     Größe in Auftrag gegeben und auf dem Rückweg dem Tischler in der Reichenstraße beim Nobistor eine kleinere Holztruhe abgeschmeichelt,
     die der Meister erst vor wenigen Tagen einer bedürftigen Witwe für sein eigenes Lager abgekauft hatte. Sie war in der Tat
     zu teuer, aber Helena fehlte an diesem Morgen die Geduld zu handeln. Es hätte auch wenig Erfolg versprochen. Wohl war Altona
     eine Stadt, nach der Hauptstadt gar die größte im Reich des dänischen Königs, aber doch klein genug, dass man einander kannte.
     Klein genug, dass es geradezu als Bürgerpflicht galt, so wenig geehrtes Volk wie wandernde Komödianten zu übervorteilen. Selbst
     wenn es sich um eine so schöne und trotz des kastanienfarben lohenden Haars durchaus gesittet erscheinende Komödiantin handelte.
    «Wirklich», wiederholte Rosina, «ein hübscher kleiner Kasten, gerade recht für die Perücken. Besonders mit diesem Luftloch
     hier.» Sie schob einen Zeigefinger durch ein längliches Loch am Rande des Truhendeckels. «Aber wieso steht sie auf der Straße?
     Warum hat der Fuhrmann sie nicht hinaufgebracht?»
    «Das wollte er nur zu gerne. Ich habe ihn aber nicht gelassen. Soll er etwa in der Stadt herumerzählen, die Komödianten hausen
     über Melzers Kaffeehaus wie die Wilden? Dieses kleine Ding schaffen wir auch allein die Treppe hinauf.» Sie zog ihr Tuch von
     den Schultern, griff auch nach Rosinas und warf beide in die Truhe, verknotete flink ihre Röcke vor den Knien und schob beide
     Hände unter den eisernen Griff. «Worauf wartest du, Rosina? Fass an.»
    Rosina war nicht wie Helena, Titus oder Jean auf dem Komödiantenkarren geboren. Niemand außer ihr selbst wusste, woher sie
     gekommen war, als Jean sie an einem regnerischen Herbstabend auf einer Landstraße fand. Wenn auch ihr Gesicht unter den dicken
     blonden Locken einem flüchtigen Betrachter trotz des festen Kinns immer noch zart erscheinen mochte, war sie alles andere
     als zerbrechlich. Ihr Eigensinn war nicht nur bei den Mitgliedern der Becker’schen Gesellschaft gefürchtet. Nach etlichen
     Jahren als Komödiantin, Tänzerin und Sängerin, die bei den Fahrten über das Land auch auf dem Kutschbock saß und die Pferde
     lenkte, die wie alle anderen Kisten und Körbe, die Kulissen und andere Utensilien schleppte, war sie kräftiger, als ihre schmale
     Taille vermuten ließ. Was nicht bedeutete, dass das Herumschleppen schwerer Truhen, und sahen sie auch so harmlos aus wie
     diese, zu ihren liebsten Beschäftigungen gehörte.
    «Lass den Fuhrmann erzählen, was er will», sagte sie und knotete gleich Helena ihre Röcke, «das tut er sowieso, und davon,
     dass du ihm bezahlte Arbeit ersparst, wird er uns noch lange nicht für ehrbare Leute halten. Du lieber Himmel!» Mit einem
     ärgerlichen Ächzer ließ sie die Truhe, die sie am eisernen Griff der anderen Seite gefasst und angehoben hatte, wieder fallen.
     «Machen die ihre Kästen hier aus Blei?»
    «Aus Eiche», sagte Helena. «Das ist zwar unpraktisch und nur wenig leichter, aber haltbar, äußerst haltbar. Stell dich nicht
     an, ein bisschen Anstrengung kann uns nicht schaden. Wenn wir warten, bis einer der Männer   …»
    «Kann ich helfen? Wohin soll die Truhe?»
    Zwar keiner der gerade geschmähten Komödianten, aber ein Mann von vielleicht dreißig Jahren in einer Jackeaus grobem Tuch hatte sich aus der Menge gelöst und war stehen geblieben.
    «Danke», Helena beugte sich entschlossen wieder über den Griff, «aber das ist nicht   …»
    «Das ist sehr freundlich», fiel Rosina ihr ins Wort. «Wirklich sehr freundlich.
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