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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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Unsere Wohnung ist im ersten Stock und die
     Truhe schwerer, als wir dachten. Wenn Ihr aber an einem und wir beide am anderen Ende anfassen, wird sie leicht zu tragen
     sein.»
    Der Mann nickte, zog seine Joppe aus und reichte sie einem Mädchen, das gerade aus Melzers Kaffeehaus getreten war und die
     beiden fremden Frauen mit unverhohlener Neugier musterte.
    «Warte hier», sagte der Mann, «es dauert nur einen Augenblick.»
    Als habe sie ihn nicht gehört, kam sie einen halben Schritt näher. «Seid Ihr von den Komödianten?», fragte sie. Ihre kleine
     Zunge flitzte wie die einer Eidechse über ihre Oberlippe, und sie sah fragend von Rosina zu Helena und wieder zurück.
    «So lass doch, Anna. Komödiantinnen oder nicht, die Truhe muss schnell die Treppe rauf, das ist alles.»
    Wieder hörte sie ihm nicht zu. «Verzeiht meine Frage, aber Madame Melzer hat gesagt, Ihr gehörtet zu denen, obwohl Ihr nicht
     so ausseht. Wie Fahrende, meine ich, ich kenne natürlich keine, aber die Leute sagen   …»
    «Anna. Es ist doch egal, was die Leute sagen. Die sagen immer irgendwas.»
    Helena ließ sich mit einem Seufzer auf die Truhe plumpsen, schob ihre kalten Hände unter die Achseln, und Rosina lachte schon
     wieder.
    «Da hat er recht», sagte sie. «Es ist egal, was geredetwird. Trotzdem sehen viele Komödianten ganz manierlich aus.»
    Das Mädchen nickte ernsthaft, als habe es gerade etwas Bedeutungsvolles gelernt. «Manierlich. Madame Melzer sagt, auch wenn
     die Kirche den Pastoren verbietet, das Theater zu besuchen, so sei es doch nicht so unchristlich, wie manche glaubten. Madame
     Melzer sagt, sie selbst habe schon viele Eurer Aufführungen gesehen, es sei sehr vergnüglich. Die Musik und die Kostüme   …» Sie verstummte seufzend unter dem strengen Blick ihres Begleiters.
    «Warum probiert Ihr es nicht einfach selbst aus?» Helena erhob sich von der Truhe. Sie fror und sehnte sich nach einer Tasse
     heißen Tees. «Heute Nachmittag», fuhr sie fort und zog zwei Billetts aus den Tiefen ihrer Rocktasche, «um fünf. Wir geben
     ein Lustspiel mit Gesang. Natürlich auch ein Ballett. Ich versichere Euch, obwohl in den Gasthäusern das Gegenteil behauptet
     wird, tanzen wir niemals unbekleidet. Sollte das Spiel Euch trotzdem nicht behagen, könnt Ihr ruhig früher gehen.»
    «Unbekleidet? O nein.» Anna errötete bei dieser Vorstellung. «Das hätte ich niemals geglaubt. Aber es geht nicht, leider.»
     Hilfesuchend sah sie sich nach ihrem Begleiter um. «Es geht doch nicht, Matthias?»
    «Nein, es geht nicht. Vielleicht später einmal, Anna, wenn ich   …» Er sprach nicht weiter, sah auf seine breiten schwieligen Hände und zog die Schultern hoch.
    «O doch», rief Rosina, die begriff, was die beiden an dem Besuch der Komödie hinderte, und wandte sich an den Mann, den das
     Mädchen Matthias genannt hatte. «Es geht ganz einfach. Ihr helft, die Truhe die Treppe hinaufzutragen, und wir bedanken uns
     mit zwei Billetts.»
    Anna zögerte nur eine Sekunde, dann griff sie blitzschnell nach den Billetts, die Helena ihr entgegenhielt, und ließ sie in
     ihrem Korb verschwinden. Ihr Begleiter öffnete den Mund, als wolle er protestieren. Doch dann sagte er nur: «Ihr habt recht,
     zuerst muss die Truhe aus dem Weg. Warte hier, Anna, ich bin gleich zurück.»

KAPITEL 2
    DONNERSTAG, DEN 9.   MARTIUS,
MORGENS
    Anne Herrmanns lächelte mit ungewohnter Nachsicht über ihren törichten Gedanken. Die resedagrüne Seide ihres neuen Negligés,
     hatte sie gerade beschlossen, stehe ihr ganz ausgezeichnet. Auch wenn ihr Ehemann es nicht zu bemerken schien, gab sie ihren
     graugrünen Augen selbst jetzt, am Morgen, der eine Frau im reifen Alter von neununddreißig Jahren ja stets blass macht, den
     richtigen Glanz. Töricht, dachte sie und unterdrückte einen Seufzer. Solche Gedanken schlichen sich eben ein, wenn man sich
     keine gewichtigeren zu machen hatte. Sie lauschte auf das leise Knacken der Buchenscheite im Kamin, beobachtete, wie der Honig
     dick von ihrem Löffel auf das Weizenbrot tropfte, und seufzte wohlig. War es nicht doch ganz wunderbar, keine als diese leichtfertig-resedagrünen
     Probleme zu haben? Die Wärme des Feuers in ihrem Rücken umfing sie wie eine Hülle und erinnerte sie an die Hitze der vergangenen
     Nacht. Ihr Blick wanderte vom Honig zu ihrem Ehemann, der ihr, in seinem Stuhl zurückgelehnt und in die neue Ausgabe des
Hamburgischen Correspondenten
vertieft, gegenübersaß. Sie liebte die
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