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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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eine der neuen Truhen?»
    Sie strich leicht mit der von der Kälte geröteten Hand über das Holz und nickte anerkennend. Zwar zeugten schon einige Risse
     und die an manchen Stellen brüchige Farbe von ihrem ehrwürdigen Alter, dennoch schien siestabil. Die Malerei, Reihen von Blattranken und dunkelroten Äpfeln an den Rändern, in der Mitte ein pausbäckiges, einander
     die Hände reichendes Paar, konnte Rudolf mit nur wenig Mühe wieder wie neu erscheinen lassen.
    «Was hast du dem Mann gegeben? Etwa ein Billett?»
    «Zwei, Rosina. Eines reichte ihm nicht, jedenfalls machte er so ein Gesicht. Es kann nicht schaden, wenn wir jede Gelegenheit
     nutzen, das Theater zu füllen. Es schien ihn aber nicht sonderlich zu freuen.»
    Rosina lachte. «Wahrscheinlich wusste er nicht, was es war. Oder glaubst du, dass er lesen kann?» Sie strich mit den Fingerspitzen
     über die dilettantisch, gleichwohl liebevoll gemalten Gesichter. «Ein hübsches Stück. Wo sollen wir sie hinstellen?»
    «Eine sehr lästige Frage, Rosina. Darüber denke ich nach, sobald wir sie oben haben. Irgendwo wird sich schon ein Platz finden.»
    An dem Problem mit der Truhe hatte sich am Abend zwar heftiger Streit entzündet. Die Becker’sche Komödiantengesellschaft,
     zu der die beiden Frauen gehörten, gastierte nicht zum ersten Mal in Altona. Die Wohnung über Melzers Kaffeehaus, in dieser
     Stadt stets ihr Quartier, war ihnen immer komfortabel und geräumig erschienen. In diesem Winter allerdings hatte der Prinzipal
     seine Truppe um zwei Köpfe vergrößert, Melzer wiederum zwei Dachkammern an einen Schiffszimmerer und dessen Frau vermietet,
     kurz und gut, die Becker’schen, nun zwölf an der Zahl, mussten sich mit mehr Köpfen und weniger Raum begnügen. Was nicht nur
     zu mehr Lärm und Streiterei, sondern vor allem zu mehr Unordnung führte. Und damit zu neuem Streit.
    Gestern Abend, als Jean Becker, Helenas Ehemann und Prinzipal der Gesellschaft, am Tisch in der Wohnstube saß und Titus, Spaßmacher
     der Gesellschaft, und Filippo, Akrobat und jugendlicher Held, aus einem neuen Stück vorlas, kam es zum Eklat.
    Das Stück, noch nicht mehr als das Fragment einer Komödie, stammte aus der Feder Gregor Beauforts, eines völlig unbekannten,
     dafür aber wohlhabenden jungen Mannes, der beschlossen hatte, sich als Dichter zu versuchen. Erst kürzlich hatte er Jean in
     einer Schenke angesprochen und ihm sein Werk angedient. Jean war begeistert. Mit einem neuen Stück, insbesondere einer Komödie,
     aus der Feder eines reichen Bürgers warb es sich auch leichter um die Gunst der Bürger.
    Nun hatte er, wie es seine Art war, nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit Händen und Füßen deklamiert und schließlich in
     melodramatischer Emphase weit ausholend ein Tintenfässchen umgestoßen. Dessen Inhalt ergoss sich über den Tisch, färbte nicht
     nur die alte zerkratzte Holzplatte, was niemanden außer Melzer wirklich grämen würde, sondern eine bis dahin schneeweiße Alongeperücke,
     eine schon ziemlich zerlesene Ausgabe des ersten Teils von Gellerts wahrhaft ergreifendem Roman
Leben der Schwedischen Gräfin von G.
, zwei Paar rosenfarbene Spitzenhandschuhe, ein gerade erst angeschnittenes Weißbrot und Gesines fein bestickten Nähbeutel.
     All das sog die Tinte begierig auf und färbte sich dunkelblau, nur die Handschuhe entschieden sich für ein frivoles Violett.
    Was wiederum Gesine, auf der Bühne zumeist die grämliche Alte oder stumme Dienerin, als vortreffliche Kostümmeisterin aber
     eines der wichtigsten Mitgliederder Gesellschaft, zu einem vulkanischen Zornausbruch veranlasste. Ausgerechnet Gesine, die als die Bescheidenheit selbst galt
     und Unmut gewöhnlich mit nichts als abgrundtiefem Schweigen kundtat, was alle sehr angenehm fanden. Von ihrem ersten Schrei
     erschreckt, warf Filippo ein Glas um, und der rote Wein wandelte nun alle Tintenflecken umgehend in tiefstes Violett. Worauf
     Helena, die in diesem unpassenden Moment den Raum betrat, Gesines Gezeter mit einer Tirade über die ewige Unordnung ablöste,
     und warum Jean, zur Hölle!, nicht besser aufpassen könne, wenn er schon mit den Armen rudere wie eine Windmühle im Sturm,
     anstatt die Bedeutung seiner Worte wenigstens bei der Probe in Stimme und Mimik zu legen, wie es ein
wirklich
großer Komödiant täte.
    Es würde zu weit führen, auch noch zu erwähnen, was daraufhin Jean und Titus zum Besten gaben. Nur Filippo war klug genug,
     während des ganzen Disputs zu
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