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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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unseres Lotsinspektors geklaut. Oh, fast hätte ich es vergessen.
     Gerade wir dürfen nicht auf den Schiffer und seinen Lotsen schimpfen, er hat nämlich auch eine Lieferung für uns an Bord.»
    «Für uns? Bist du sicher?» Eine ganze Reihe von Lieferungen befanden sich zurzeit in Schiffsbäuchen irgendwo zwischen Hamburg
     und Frankreich, Spanien, den nördlichen Ländern und vor allem England. Aber die
Rose of Rye
gehörte trotz des an die südenglische Grafschaft Sussex erinnernden Namens schottischen Kaufleuten, mit denen die Herrmanns’
     noch nie Handel getrieben hatten.
    «Ganz sicher. Der Bauch ist zwar halb voll Kohle und Wolle, aber sie haben auch alles mögliche andere geladen. Zum Beispiel
     eine kleine, aber kostbare Fracht für Madame Herrmanns. Ich soll dir ausrichten, Anne», er verbeugte sich amüsiert in Richtung
     seiner Stiefmutter, «du mögest umgehend Auftrag geben, dass jemand deine Bäume abholt. Einer sehe zwar nicht mehr sehr lebendig
     aus, aber die Wurzeln der anderen warteten dringend auf frische Erde.»
    «Endlich», Anne klatschte freudig in die Hände, «sie hätten schon im November hier sein sollen, und ich habe befürchtet, sie
     seien während des Winters irgendwo unterwegs erfroren. Weißt du   …»
    «Bäume? Auf der
Rose of Rye
? Das kann doch nur ein Scherz sein, Christian.»
    «Die meisten Leute im Hafen sind völlig deiner Ansicht, Vater, aber nein, es ist kein Scherz. Ich konnte mich nur schwer zurückhalten,
     sie gleich mitzubringen, aber sie waren zu unhandlich. Der kleinste misst sieben Fuß, mindestens. Außerdem stecken sie in
     dicken Ballen. Ohne den Kran bekommen wir sie kaum vom Schiff. Wir müssen wohl warten, bis die
Rose
bei den Vorsetzen beim Neuen Kran festmachen kann. Jetzt sind dort natürlich noch alle Liegeplätze besetzt, aber wenn die
     Elbe morgen wirklich frei ist und ein bisschen Wind aufkommt, wird der Hafen im Handumdrehen leer sein, und die
Rose
kann von ihrem Platz an den Duckdalben nachrücken, bevor der neue Ansturm die Elbe raufkommt.»
    Christian war allerbester Laune. Wegen der skurrilen Fracht auf der
Rose,
das auch, aber vor allem, weil diese Tage am Ende des Winters, wenn die Schifffahrt nach der langen, von der Natur erzwungenen
     Ruhezeit endlich wieder in Bewegung kam, ihm die aufregendsten im Jahr waren. Beinahe als stünde er selbst vor einer langen
     Reise.
    «Bäume! Mit dem Kran?» Claes, der nicht wusste, ob er lachen oder ärgerlich sein sollte, entschied sich für den Mittelweg:
     Er grinste breit, was allerdings nicht wirklich vergnügt aussah. «Willst du Böckmann Konkurrenz machen, Anne? Soviel ich weiß,
     ist er bisher der Einzige, der in der Stadt mit Bäumen handelt. Wenn auch nicht mit schottischen. Ich wusste gar nicht, dass
     dort überhaupt Bäume wachsen, die es zu importieren lohnt. Ich dachte, da oben gedeihen nur Krüppelbirken, Farne und Moose.»
    «Du hast Binsen und Ginster vergessen, Vater.» Christianbemühte sich um ein ernsthaftes Gesicht. «Und das Heidekraut. Die schottischen Schafe fressen Berge von Heidekraut.»
    «So ein Unsinn.» Aus Annes Nasenwurzel wuchs die allseits gefürchtete steile Falte. «Ich habe im letzten Jahr bei Booth in
     Falkirk vier Bäume bestellt, die hier niemand zieht. Zwei Scharlacheichen und zwei Hemlocktannen. Bäume aus den amerikanischen
     Kolonien, die Kälte und Nebel und überhaupt dieses scheußliche Wetter in Schottland und hier bei euch gewohnt sind. Sie werden
     prächtig wachsen.»
    «Hem-was-Tannen? Davon habe ich noch nie gehört. Was ist so Besonderes daran? Wenn du Bäume willst, die
bei uns
wachsen, warum kaufst du die Bäume nicht auch wie alle anderen
bei uns,
nämlich bei Böckmann? Der hat seine Gärten am Gänsemarkt und an der Alster voller Setzlinge und junger Bäume. Was ist gegen
     eine hamburgische Eiche oder Buche zu sagen? Scharlacheichen. Wir sind hier nicht in Versailles oder London, wo es Mode ist,
     Geld zum Fenster hinauszuwerfen.»
    Mit einem Ruck schob Anne ihren Stuhl zurück und stand senkrecht wie eine dieser stolzen Hemlocktannen, von denen Claes noch
     nie gehört hatte.
    «Zum einen», sagte sie mit gefährlicher Ruhe, «ist es
mein
Geld, das hier zum Fenster hinausgeworfen wird. Du wirst in
deinem
Kontor keine Rechnung dafür finden. Zum anderen», sie faltete mit kurzen energischen Bewegungen ihr Mundtuch zusammen und
     ließ es mit Schwung auf den Tisch fallen, «zum anderen hast du keine Einwände gegen diese Bestellung

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