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Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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    Als ich in den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in New Iberia, unten an der Golfküste aufwuchs, gab es für mich keinerlei Zweifel daran, wie es auf der Welt zuging. In der Morgendämmerung ragten entlang der East Main Street die alten, noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammenden Häuser mit ihren taunassen Säulenportalen, den Gartenwegen und den Balkons aus dem Dunst auf, zeichneten sich die Kamine und Schieferdächer weich unter dem Laubdach der immergrünen Eichen ab, das die ganze Straße überspannte.
    Mit umgekippten Schornsteinen lagen die versenkten Schiffe der US-Navy im Hafenbecken von Pearl Harbor, und überall in New Iberia hingen die Militärsterne in den Fenstern. Aber an der East Main Street war die Luft im ersten Morgengrauen schwer vom Duft der nachts blühenden Blumen, roch es nach Flechten auf feuchtem Gestein und dem faulig-fruchtbaren Moderdunst des Bayou Teche, und auch wenn im Fenster eines Herrenhauses ein goldener Stern hängen mochte, der den Soldatentod eines Familienangehörigen anzeigte, hätte man meinen können, man befände sich eher im Jahr 1861 als im Sommer 1942.
    Selbst wenn sich die Sonne über den Horizont schob, wenn die Eis- und Milchwagen auf ihren mit Eisenreifen beschlagenen Rädern die Straße entlangrollten und sich die Neger nach und nach an den Hintertüren ihrer Dienstherren zur Arbeit meldeten, war das Licht niemals grell, wurde es nie zu heiß oder roch nach Straßenteer und Staub, so wie in anderen Gegenden. Stattdessen sickerte es durch das Virginiamoos, durch Bambus und Philodendron, an denen murmelgroße Tautropfen hingen, sodass für diejenigen, die hier lebten, jeder neue Morgen mit einer blauen Samtigkeit anbrach, die ihnen tagtäglich deutlich machte, wie großartig die Erde war, erschaffen nach einem Plan, der im Himmel verwahrt wurde und nie in Frage gestellt werden sollte.
    Unten an der Straße stand das alte Frederic Hotel, ein zauberhafter rosafarbener Bau mit Topfpalmen und Marmorsäulen im Innern, einem Ballsaal, einem Fahrstuhl, der aussah wie ein Vogelkäfig aus Messing, einem hohen Schuhputzstuhl aus verschnörkeltem Schmiedeeisen und einer langen, von Hand geschnitzten Mahagonibar. Inmitten der Palmwedel und der blauen und grauen Farbkringel an den Marmorsäulen standen die Glücksspiel- und Rennpferd-Automaten mit ihren blinkenden, kreisenden Lichtern und den wie mattes Zinn schimmernden Münzschalen, die ein stummes Versprechen für jene abgaben, die frohen Herzens waren.
    Weiter unten zweigten die Hopkins und die Railroad Avenue von der Main Street ab, wie zwei Zubringerstraßen in einen Teil der Geschichte und Geographie der Stadt, über den die Leute in der Öffentlichkeit nicht redeten. Wenn ich samstagnachmittags mit meinem Vater zum Eishaus ging, schaute ich immer verstohlen die Railroad Avenue hinab, auf die ungestrichenen Hütten, die sich zu beiden Seiten der Bahngleise aneinander reihten, und die schlampigen Frauen, die auf den Stufen saßen, verkatert, breitbeinig, die Knie unter den weiten Kattunkleidern angewinkelt, und sich vielleicht gerade einen Schluck Bier aus einem Eimer schöpften, den zwei Negerjungen an einem Besenstiel aus Hattie Fontenots Bar anschleppten.
    Ich lernte frühzeitig, dass es kein Laster oder Geschäft mit der Unzucht ohne das Einverständnis der Allgemeinheit gab. Ich dachte, ich hätte das Wesen des Bösen begriffen. Mit zwölf Jahren erfuhr ich, dass dem nicht so war.
    Mein Halbbruder, der fünfzehn Monate jünger war als ich, hieß Jimmie Robicheaux. Seine Mutter war eine Prostituierte aus Abbeville, aber er und ich wurden gemeinsam aufgezogen, größtenteils von unserem Vater, bekannt als Big Aldous, der Trapper, gewerbsmäßiger Fischer und Bohrarbeiter auf den Öltürmen vor der Küste war. Als Kinder waren Jimmie und ich unzertrennlich. An schönen Sommerabenden gingen wir immer zu den Ballspielen, die unter Flutlicht im City Park stattfanden, und stahlen uns in die Menschenschlangen, die an den Grills und Krabbenküchen bei den Freiluftpavillons anstanden. Unser Vergehen war eher harmlos, nehme ich an, und wir waren ziemlich stolz auf uns, wenn wir meinten, wir hätten die Erwachsenen wieder einmal ausgetrickst.
    An einem heißen Augustabend, an dem Blitze zwischen den Gewitterwolken über dem Golf von Mexiko zuckten, gingen Jimmie und ich unter den Eichen am Rande des Parks entlang, als wir einen alten Ford sahen, in dem sich zwei Pärchen aufhielten, eins auf dem Vordersitz,
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