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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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sein Amt nötige Entschlossenheit und Autorität, in schweren brachte es den zornigen Mann zum Vorschein,
     der er tatsächlich war. Dieses Frühjahr, genau genommen der ganze letzte Winter schon, war für ihn eine schwere Zeit. Nicht
     nur wegen der nicht endenden Querelen unter den Lotsen.
    Zacharias Hörne hatte noch einen anderen Grund für seinen Grimm: die Familie. Der erzürnte ihn mehr als jeder andere, weil
     er überflüssig war. Eine Familie hatte ein Oberhaupt, und dem war zu gehorchen. Da gab es nichts zu debattieren. Es war ihm
     nicht leichtgefallen, Anna, seine einzige Tochter, aus dem Haus zu geben. Aber das war Familienpflicht gewesen, und er hatte
     keine Sekunde gezögert, als Thea ihn darum bat. Und ebenso keine Sekunde daran gedacht, dass Anna das Leben im Haus seiner
     Schwester dazu benutzen könnte, ihn so bitter zu hintergehen.
    Irgendwo im Dunst vor ihm bellte ein Hund. Das musste der schieläugige schwarze Köter sein, der die Segelmacherei bewachte.
     Jedenfalls tat er so. Er sah wohl aus wie ein Höllenhund, als Wächter war er trotzdem nicht besser als ein alter Hahn.
    Er passierte die Wassermühle, die einst dem kleinen Ort am Elbufer westlich von Altona den Namen gegeben hatte, und schritt
     an den langgestreckten niederen Backsteinhäusern vorbei, die Fischer und Lotsen hier für ihre Familien gebaut hatten. Bald
     darauf erreichte er ein alleinstehendes,tief unter sein Reetdach geducktes Haus, das den vorigen bis zu den blaugemalten Fensterrahmen glich.

    Er blieb stehen, zog die Schultern hoch, sah noch einmal zurück und klopfte. Er trat nicht einfach ein, wie es Sitte und bei
     Verwandten überall selbstverständlich war, sondern wartete, dass ihm die Tür geöffnet werde.
    Ungeduldig rieb er die Fäuste aneinander, wandte sich um und sah hinunter zum Fluss. Der Nebel war immer noch so dick, dass
     Zacharias die breite Wasserfläche, keine zweihundert Fuß entfernt, nur erahnen konnte. Die Elbinseln, im Sommer eine grüne
     Idylle von saftigem Gras und Gebüsch und voller Vieh, jetzt noch bis auf die bewohnten größeren öde, grau und verlassen, verbargen
     sich vollends im Nebel.
    Er atmete tief, doch der Zorn, der beim Blick auf diese trügerische Nebelwelt, Schrecken eines jeden Seemanns auf See, noch
     stärker in ihm aufstieg, ließ sich nicht so einfach verschlucken. Er glaubte das Eintauchen von Rudern zu hören und trat einige
     Schritte vor. Wer konnte verrückt genug sein, an so einem Morgen aufs Wasser zu gehen? Zwar hatte man beschlossen, mit dem
     Ausloten der Elbe fortzufahren; die Winterstürme, besonders die des Februars, hatten die Sände im Fluss verschoben, und die
     Lotsen brauchten genaue Auskünfte über die Veränderung des Fahrwassers. Bei diesem Wetter war das aber mehr als dumm. Auch
     der erfahrenste Pilot verlor bei dichtem Nebel schnell die Orientierung, und es war immer noch kalt genug, um im Labyrinth
     der Flussarme, Sandbänke und Inseln zu erfrieren. Auf der ganzen Elbe galt: Bei dichtem Nebel Anker werfen und beständig das
     Horn blasen. Was nicht ging, ging eben nicht. Das Wetterwurde nicht von den Lotsen, sondern immer noch von Gott gemacht, die Kaufleute und ihre Schiffer mussten warten, bis der Himmel
     sich klärte.
    Ein geduckter dunkler Schemen glitt langsam am Ufer vorbei. Das konnte nicht die Schaluppe der Lotsgaleote sein, wahrscheinlich
     gehörte sie zu einem der Walfänger, die in Altona auf Reede lagen. Die hielten sich von jeher für unverwundbar. Er mochte
     die Walfänger nicht. Viele ihrer Schiffer und des Seevolks vom Schiffsjungen bis zum Steuermann kamen von Föhr, Amrum und
     dem holsteinischen Festland. Allesamt, so fand er, habgierige Kerle, die glaubten, dass ihre eigene und ihrer Steuerleute
     gute nautische Ausbildung schon reichte für eine gute Fahrt. Von den vierzig oder gar fünfzig Männern an Bord war aber der
     größere Teil in der Seefahrt unerfahren: jüngere Kätner- und Bauernsöhne, billige Herumtreiber aus den Schenken am Hafen oder
     andere Taugenichtse, die sonst niemand haben wollte. Kein Wunder, dass so viele von ihnen nicht vom Rand des Eises zurückkamen.
    Er klopfte noch einmal, dieses Mal mit der ganzen Faust, und als er gerade zum dritten Mal gegen die Tür hämmern wollte, wurde
     sie geöffnet.
    «Du magst schwerhörig sein, Zacharias Hörne. Ich bin es nicht.»
    Eine Frau in schwarzer Witwentracht stand, auf einen Stock gestützt, in der Tür und sah ihren Besucher mit zusammengezogenen
    
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