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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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Bild nicht und stand ihm ohne Interesse und ohne Aufmerksamkeit gegenüber.
    Der Vergleich zwischen Karenin und Adam bringt mich auf den Gedanken, daß der Mensch im Paradies noch nicht Mensch war. Genauer gesagt: der Mensch war noch nicht auf die Bahn des Menschseins geschleudert. Wir aber sind längst darauf geschleudert worden und fliegen durch die Leere der Zeit, die auf einer Geraden abläuft. Doch existiert in uns immer noch eine dünne Schnur, die uns mit dem fernen, nebelhaften Paradies verbindet, wo Adam sich über die Quelle neigt und, im Gegensatz zu Narziß, nicht ahnt, daß dieser blaßgelbe Fleck, der im Wasser auftaucht, er selber ist.
    Die Sehnsucht nach dem Paradies ist das Verlangen des Menschen, nicht Mensch zu sein.
    Wenn sie als kleines Mädchen die blutbefleckten Monatsbinden der Mutter herumliegen sah, ekelte sie sich davor, und sie haßte die Mutter dafür, daß sie nicht soviel Schamgefühl hatte, diese Binden wegzuwerfen. Karenin aber, der ein Weibchen war, menstruierte ebenfalls. Einmal alle sechs Monate, vierzehn Tage lang. Damit er die Wohnung nicht verunreinigte, legte Teresa ihm ein Stück Watte zwischen die Beine und zog ihm einen ihrer alten Slips an, den sie mit einem langen Band geschickt an seinem Körper befestigte.
    Vierzehn Tage lang lachte sie über seinen Aufzug.
    Wie kommt es, daß die Menstruation des Hundes in ihr Fröhlichkeit und Zärtlichkeit wachruft, während sie sich vor der eigenen Menstruation ekelt? Die Antwort scheint mir einfach: der Hund ist nie aus dem Paradies vertrieben worden. Karenin weiß nichts von der Dualität von Körper und Seele, und er weiß nicht, was Ekel ist. Deshalb fühlt Teresa sich in seiner Gesellschaft so wohl und ruhig. (Und deshalb ist es so gefährlich, ein Tier in eine belebte Maschine, eine Kuh in einen Milchautomaten zu verwandeln: der Mensch schneidet auf diese Weise die Schnur durch, die ihn mit dem Paradies verbindet, und nichts wird ihn aufhalten, nichts wird ihn trösten können auf seinem Flug durch die Leere der Zeit.) Aus diesem Gedankengewirr entsteht in Teresa eine blasphemische Idee, derer sie sich nicht erwehren kann: die Liebe, die sie mit Karenin verbindet, ist besser als die Liebe, die zwischen ihr und Tomas besteht. Besser, nicht etwa größer. Teresa will weder sich noch Tomas die Schuld geben, sie will nicht behaupten, sie könnten sich noch mehr liebhaben.
    Eher scheint es ihr, das Menschenpaar sei so geschaffen, daß seine Liebe a priori schlechter sei als (zumindest im besten Falle) die Liebe zwischen Mensch und Hund, diese Sonderbarkeit in der Geschichte der Menschheit, die vom Schöpfer vermutlich nicht eingeplant war.
    Diese Liebe ist selbstlos: Teresa will nichts von Karenin.
    Nicht einmal Liebe fordert sie von ihm. Sie hat sich niemals die Fragen gestellt, von denen die Menschenpaare gequält werden: Liebt er mich? Hat er jemand anderen mehr geliebt als mich? Liebt er mich mehr, als ich ihn liebe? Möglich, daß all diese Fragen, die sich um die Liebe drehen, sie messen, erforschen, untersuchen und verhören, sie auch schon im Keim ersticken. Möglich, daß wir nicht fähig sind zu lieben, gerade weil wir uns danach sehnen, geliebt zu werden, das heißt: weil wir vom anderen etwas wollen (die Liebe), anstatt ohne Ansprüche auf ihn zuzugehen und nichts als seine Gegenwart zu wollen.
    Und noch etwas: Teresa hat Karenin so akzeptiert, wie er ist, sie wollte ihn nicht nach ihrem Bilde verändern, sie war von vornherein mit seiner Hundewelt einverstanden und wollte sie ihm nicht wegnehmen, sie war nicht eifersüchtig auf seine heimlichen Neigungen. Sie erzog ihn nicht, um ihn zu verändern (wie ein Mann seine Frau und eine Frau ihren Mann verändern will), sondern nur, um ihm eine elementare Sprache beizubringen, die es ihnen ermöglichte, einander zu verstehen und miteinander zu leben.
    Und dann: ihre Liebe zu dem Hund ist freiwillig, niemand hat sie dazu gezwungen. (Sie denkt einmal mehr an ihre Mutter und empfindet großes Bedauern: Wäre die Mutter eine unbekannte Frau aus dem Dorf gewesen, so hätte sie ihre fröhliche Derbheit vielleicht sympathisch gefunden! Ach, wäre die Mutter doch eine fremde Frau gewesen! Teresa hatte sich von Kindheit an dafür geschämt, daß die Mutter die Züge ihres eigenen Gesichts besetzt gehalten und ihr Ich enteignet hatte. Am schlimmsten aber war, daß das uralte Gebot »Du sollst Vater und Mutter lieben!« sie zwang, diese Okkupation zu billigen und diese Aggression Liebe
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