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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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zu nennen! Es war nicht die Schuld der Mutter, daß Teresa mit ihr gebrochen hatte. Sie hatte nicht mit ihr gebrochen, weil die Mutter so war, wie sie war, sondern weil es ihre Mutter war.) Und vor allem: kein Mensch kann einem anderen Menschen die Idylle zum Geschenk machen. Das vermag nur ein Tier, weil es nicht aus dem Paradies vertrieben worden ist.
    Die Liebe zwischen Mensch und Hund ist idyllisch. Es ist eine Liebe ohne Konflikte, ohne herzzerreißende Szenen, ohne Entwicklung. Karenin umgab Teresa und Tomas, er war bei ihnen mit seinem Leben, das auf der Wiederholung begründet war, und er erwartete von ihnen dasselbe.
    Wäre Karenin ein Mensch gewesen und nicht ein Hund, hätte er sicher schon längst zu Teresa gesagt: »Hör mal, es macht mir keinen Spaß mehr, jeden Tag ein Hörnchen in der Schnauze herumzutragen. Kannst du dir nicht etwas Neues einfallen lassen?« Dieser Satz enthält die ganze Verurteilung des Menschen. Die menschliche Zeit dreht sich nicht im Kreis, sie verläuft auf einer Geraden. Das ist der Grund, warum der Mensch nicht glücklich sein kann, denn Glück ist der Wunsch nach Wiederholung.
    Ja, Glück ist der Wunsch nach Wiederholung, sagt sich Teresa.
    Wenn der Vorsitzende der Genossenschaft nach der Arbeit seinen Mephisto spazierenführte und Teresa traf, vergaß er nie zu sagen: »Frau Teresa! Warum habe ich ihn nicht schon früher kennengelernt? Wir wären den Mädchen gemeinsam nachgestiegen! Zwei Säuen kann gewiß keine Frau widerstehen!« Er hatte sein Schwein so dressiert, daß es nach diesen Worten zu grunzen anfing. Teresa lachte, obwohl sie vom ersten Augenblick an wußte, was der Vorsitzende sagen würde. Der Witz verlor in der Wiederholung nichts von seinem Reiz. Im Gegenteil. Im Kontext der Idylle ist selbst der Humor dem süßen Gesetz der Wiederholung untergeordnet.
    5.
    Verglichen mit dem Menschen hat der Hund nicht viele Vorteile, einer aber ist bemerkenswert: im Falle des Hundes ist die Euthanasie nicht durch das Gesetz verboten; das Tier hat ein Anrecht auf einen barmherzigen Tod. Karenin hinkte auf drei Beinen und verbrachte zunehmend mehr Zeit damit, in einer Ecke zu liegen. Er winselte. Tomas und Teresa waren sich einig, daß sie ihn nicht unnötig leiden lassen dürften.
    Doch ersparte ihnen dieses grundsätzliche Einverständnis nicht die bange Unsicherheit: wie kann man erkennen, wann das Leiden unnötig wird? Wie kann man den Augenblick bestimmen, da es sich nicht mehr zu leben lohnt?
    Wenn Tomas doch nicht Arzt wäre! Dann könnte man sich hinter einem Dritten verstecken. Man könnte zum Tierarzt gehen und ihn bitten, dem Hund eine Spritze zu geben.
    Wie schrecklich, die Rolle des Todes selbst übernehmen zu müssen! Lange Zeit hatte Tomas darauf beharrt, Karenin die Spritze nicht selbst zu geben, sondern den Tierarzt zu rufen.
    Doch dann begriff er, daß er seinem Hund ein Vorrecht einräumen konnte, in dessen Genuß ein Mensch nie kommt: der Tod würde in der Gestalt derer zu ihm kommen, die er liebte.
    Karenin hatte die ganze Nacht lang gewinselt. Nachdem Tomas ihn am Morgen abgetastet hatte, sagte er zu Teresa: »Wir dürfen nicht länger warten.«
    Es war noch früh am Tage, bald müßten sie beide das Haus verlassen. Teresa betrat das Zimmer und ging auf Karenin zu. Bis jetzt hatte er teilnahmslos dagelegen (selbst als Tomas ihn eben untersuchte, hatte er dem keine Aufmerksamkeit geschenkt), als er nun aber hörte, wie sich die Tür öffnete, hob er den Kopf und sah Teresa an.
    Sie konnte diesen Blick nicht ertragen, er machte ihr fast Angst. Nie schaute er Tomas so an, so schaute er immer nur sie an. Aber noch nie mit einer solchen Intensität wie jetzt. Es war kein verzweifelter oder trauriger Blick, nein. Es war ein Blick voll von erschreckender, unerträglicher Zutraulichkeit. Dieser Blick war eine begierige Frage, Sein Leben lang hatte Karenin auf Teresas Antwort gewartet, und auch jetzt gab er ihr zu verstehen (viel inständiger als sonst), daß er immer noch bereit war, von ihr die Wahrheit zu erfahren.
    (Alles, was von Teresa kommt, ist für ihn Wahrheit: auch wenn sie zu ihm »Platz!« oder »Kusch!« sagt, so sind das Wahrheiten, mit denen er sich identifiziert und die seinem Leben einen Sinn geben.) Dieser Blick erschreckender Zutraulichkeit war sehr kurz.
    Dann legte er seinen Kopf wieder auf die Pfoten. Teresa wußte, daß nie wieder jemand sie so ansehen würde.
    Sie hatten ihm nie Süßigkeiten gegeben, doch vor ein paar Tagen hatte sie
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