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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Autoren: Milan Kundera
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unermeßliche Liebe ohne Grenzen.
    Endlich landete die Maschine. Sie erhoben sich und gingen zur Tür, die der Steward geöffnet hatte. Sie hielten sich noch immer um die Taille gefaßt und standen auf den Stufen des Rollstegs. Unten sahen sie drei Männer mit Kapuzen über den Köpfen und Gewehren in den Händen.
    Es war zwecklos zu zögern, denn es gab kein Entrinnen. Langsam stiegen sie hinunter, und als sie den Fuß auf die Rollbahn setzten, hob einer der Männer das Gewehr und legte an. Ein Schuß war nicht zu hören, Teresa fühlte aber, wie Tomas, der sie noch vor einer Sekunde fest umarmt gehalten hatte, zusammensank.
    Sie preßte ihn an sich, konnte ihn aber nicht aufrecht halten: er fiel auf die Betonpiste. Sie beugte sich über ihn; sie wollte sich auf ihn legen und ihn mit ihrem Körper zudecken, doch sah sie in diesem Moment etwas Sonderbares: sein Körper verkleinerte sich vor ihren Augen. Das war so unglaublich, daß sie erstarrte und wie angewurzelt stehenblieb.
    Tomas' Körper wurde immer kleiner und sah Tomas schon gar nicht mehr ähnlich, es blieb von ihm nur etwas Winziges übrig, und dieses kleine Ding begann sich zu bewegen, fing an zu laufen und floh über die Rollbahn.
    Der Mann, der geschossen hatte, nahm seine Maske vom Gesicht und lächelte Teresa liebenswürdig zu. Er drehte sich um und lief diesem kleinen Ding nach, das ganz verstört hin- und herrannte, als würde es jemandem ausweichen und verzweifelt ein Versteck suchen. Eine Zeitlang jagten sie so hintereinander her, bis der Mann sich plötzlich zu Boden warf und die Verfolgungsjagd ein Ende hatte.
    Er stand auf und kam zu Teresa zurück. Er hielt ihr das Ding in der Hand hin. Es zitterte vor Angst. Es war ein Hase.
    Er reichte ihn Teresa. In diesem Moment fielen Schreck und Trauer ab von ihr, und sie war glücklich, das Tierchen in ihren Armen zu halten, ein Tierchen, das ihr gehörte und das sie an sich drücken konnte. Sie weinte vor Glück. Sie weinte und weinte, sah nichts mehr durch die Tränen hindurch und trug das Häschen nach Hause mit dem Gefühl, ganz nahe am Ziel angelangt zu sein, dort zu sein, wo sie immer hatte sein wollen, von wo man nicht mehr fliehen kann.
    Sie schritt durch die Straßen von Prag und fand leicht ihr Haus wieder. Sie hatte dort mit ihren Eltern gewohnt, als sie noch klein war. Aber weder Mama noch Papa waren zu Hause. Zwei alte Leute hießen sie willkommen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, von denen sie aber wußte, daß es ihr Urgroßvater und ihre Urgroßmutter waren. Beide hatten runzelige Gesichter wie Baumrinden, und Teresa war froh, bei ihnen wohnen zu können. Im Augenblick wollte sie aber mit ihrem Tierchen allein sein. Mühelos fand sie ihr Zimmer wieder, in dem sie gelebt hatte, seit sie fünf Jahre alt war und die Eltern gesagt hatten, daß sie nun ein eigenes Zimmer verdiente.
    Es gab dort ein Sofa, ein Tischchen und einen Stuhl. Auf dem Tischchen stand eine brennende Lampe, die die ganze Zeit über auf sie gewartet hatte. Auf dieser Lampe saß ein Schmetterling mit geöffneten Flügeln, die mit zwei großen Augen bemalt waren. Teresa wußte, daß sie am Ziel angelangt war. Sie legte sich auf das Sofa und drückte das Häschen an ihr Gesicht.
    7.
    Er saß am Tisch, wie immer, wenn er ein Buch las. Vor ihm lag ein geöffneter Umschlag mit einem Brief. Er sagte zu Teresa: »Ich bekomme von Zeit zu Zeit Briefe, von denen ich dir nicht erzählen wollte. Mein Sohn schreibt mir. Ich habe alles getan, damit sich sein Leben und meines nicht berühren.
    Und schau, wie das Schicksal sich an mir gerächt hat. Er ist vor einigen Jahren von der Universität geworfen worden.
    Jetzt ist er Traktorist in einem Dorf. Mein Leben und sein Leben berühren sich zwar nicht, doch verlaufen sie wie zwei Parallelen in gleicher Richtung nebeneinander.«
    »Und warum wolltest du nicht über die Briefe sprechen?« sagte Teresa und fühlte sich sehr erleichtert.
    »Ich weiß es nicht. Es war mir irgendwie unangenehm.«
    »Schreibt er dir oft?«
    »Von Zeit zu Zeit.«
    »Und worüber?«
    »Über sich.«
    »Und ist es interessant?«
    »Ja. Wie du weißt, war seine Mutter eine verbissene Kommunistin. Er hat schon vor langer Zeit mit ihr gebrochen und sich mit Leuten angefreundet, die in der gleichen Situation sind wie wir. Sie haben versucht, politisch aktiv zu sein.
    Einige von ihnen sind heute im Gefängnis. Aber mit denen hat er sich auch überwerfen. Er bezeichnet sie distanziert als >ewige
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