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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende
Autoren: Kishwar Desai
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Fische und bunte Pflanzen und Korallenriffe zu finden, dass ich lernen muss, mit der Flut zu schwimmen, anstatt mich gegen sie zu stemmen.
    Bald wird Binny hier sein, vielleicht bringt das Baby mich dann auf andere Gedanken. Wie schön es sein wird, wieder ein ganz normales kleines Mädchen zu sehen, ein gesundes, heißgeliebtes kleines Baby. Ich freue mich auch auf Rahul, obwohl er wegen der laufenden Adoption vielleicht nicht mitkommt.
    Und ich? Was wird aus mir werden, dem Kind, das nie hätte geboren werden sollen? Ich habe dir noch gar nicht erzählt, dass ich gestern eine Mail von ihm bekommen habe. Was will er jetzt noch von mir? Werde ich die Vergangenheit denn nie los? Manchmal klingt mir noch seine weiche Stimme in den Ohren, spüre ich noch seine Hände auf meinem Körper, die mich dann Dinge tun ließen, die ich nie hatte tun wollen, mich Dinge erfahren ließen, von denen ich nie etwas hatte wissen wollen. Nachdem Didi fort war, hat er so ganz und gar von mir Besitz ergriffen, dass ich Tag und Nacht nur an ihn denken konnte. Es ist wirklich so, dass er sich in meinem Kopf festgesetzt hat. Ich weiß, was du sagst – dass ich da noch sehr jung war, aber ich habe das alles gewollt, habe ihn gewollt, und, ja, ich glaube, ich wollte auch, dass sie alle tot sind. Kann ich dir je davon erzählen? Wirst du mir zuhören?
    Während ich darauf wartete, dass Didi zurückkommt, habe ich mir vorgestellt, dass er am Ende des langen, dunklen Tunnels auf mich warten und mich retten wird, also habe ich auch darauf gewartet und gewartet und gewartet, doch statt seiner bist du gekommen, und ich weiß, dass du mir nie verraten wirst, was er an diesem Abend in der Klinik gewollt hat. Trotz der Drogen erinnere ich mich, ihn dort gesehen zu haben, aber du lenkst dann immer vom Thema ab. Ich kann mir vorstellen, warum.
    Also weiß ich jetzt nicht, ob ich ihm antworten soll. Wirst du dich dann über mich ärgern? Ich frage dich lieber nicht.
    â—† ◆ ◆
    Letztendlich lässt es sich ja wohl nicht bestreiten, dass dieser Fall, von dem ich glaubte, dass er mein letzter sein würde, mein Leben verändert hat. Ich habe Durga mit zu mir nach Hause genommen. Aus irgendeinem Grund, hinter den ich noch nicht gekommen bin, war Amarjit einverstanden, als Ramnath vorschlug, dass Durga bei mir bleiben könnte. Es hat ihn wohl doch ganz schön getroffen, als er erkannte, wie tief er in meinen Augen gesunken war. Er wollte, dass wir alle ganz neu anfangen, und vielleicht hat er auch die ganze Zeit vorgehabt, Durga zu retten, genau wie er es mir immer gesagt hatte.
    Da die Polizei den Fall nun offiziell zu den Akten gelegt hat, ist meine Mutter ganz unversehens zu einer vierzehnjährigen Enkelin gekommen – noch dazu einer mit einer ziemlich bewegten Vergangenheit. Doch komischerweise schienen sie einander sofort zu mögen. Möglicherweise haben die etwas eigenwilligen Lebensgewohnheiten meiner Mutter nach dem enormen psychischen Druck, unter dem Durga seit dem Verschwinden ihrer Schwester gestanden hatte, eine entspannende Wirkung auf das Mädchen. Alles, was sie braucht, ist das Gefühl, geliebt zu werden und gut aufgehoben zu sein. Sie schläft inzwischen schon besser, und die dunklen Ringe unter ihren Augen verblassen zusehends.
    Es macht meiner Mutter Freude, sie zu bekochen, und die beiden verbringen jeden Tag Stunden damit, sich in der Küche über Kochrezepte zu unterhalten und etwas Neues auszuprobieren. Jeder ist froh, wenn er eine zweite Chance im Leben bekommt, und meine Mutter sieht in dem emotional angeschlagenen jungen Mädchen vielleicht eine solche Chance, ihre eigene Tochter besser verstehen zu lernen. Wir haben eine ziemlich unruhige Zeit durchgemacht, doch nun bemühen wir uns beide, für Durga alles so angenehm wie möglich zu gestalten, denn es hätte ja nicht viel gefehlt, und alles wäre gar nicht gut ausgegangen. Wenn ich in Durgas Augen schaue, sehe ich manchmal, dass auch ihr das nur allzu bewusst ist.
    Ich muss gestehen, dass ich für mich entschieden habe, dass ich überhaupt nicht wissen will , was sich in jener Nacht vor neun Monaten in dem Haus in Company Bagh abgespielt hat. Irgendwie mussten wir einen Schlussstrich unter die ganze Sache ziehen. Eines Tages, wenn Durga so viel Distanz zu all dem gewonnen hat, dass sie sich der Rolle, die sie bei den Ereignissen dieser Schreckensnacht gespielt hat, stellen kann, kann
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