Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Titel: Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
Autoren: Ronald Malfi
Vom Netzwerk:
Knochenweiße Schlote ragten wie mittelalterliche Gefängnistürme empor, ihre Spitzen waren vom Blizzard ausradiert und Autos wechselten in einem Blinkkanon aus verzögerten roten Bremsleuchten und Lichtern die Spur.
    » Wir sollten anhalten, Travis « , bat Jodie. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und versuchte, etwas durch die eisige Suppe zu erkennen, die gegen die Windschutzscheibe klatschte.
    » Die Fahrbahn ist hier zu eng. Ich will keinen Unfall provozieren. «
    » Kannst du denn überhaupt etwas sehen? «
    Die Scheibenwischer quietschten im steten Rhythmus, wohingegen die Temperatur so tief gesunken war, dass sich stellenweise Eisblumen auf dem Glas gebildet hatten. So zog ich am Hebel für das Frostschutzmittel und der alte Honda begann zu knattern und ächzen, und dann spie die Motorhaube eine stinkend warme Fontäne aus. Dabei schwang ein Hauch von brennenden Sportsocken mit, der Jodie dazu trieb, in ihrem Sitz stöhnend hin und her zu rutschen.
    » Ich hoffe, das ist kein Omen « , sagte sie. » Ein böses Zeichen. «
    » Ich bin nicht abergläubisch.«
    » Das liegt daran, dass du keinen Sinn für Ironie hast. «
    » Mach das Radio an « , sagte ich zu ihr.
    Der Schneesturm flaute nicht ab, bis wir Charm City als Fleck von gefrorenem Schmutzwasser im Rückspiegel zurückließen. Als wir zwei Stunden später über den verlassenen Highway Richtung Westen tuckerten, brach die Wolkendecke auf und der Mittagshimmel glitzerte silbrig klar. Wir fuhren weiter über eine hügelige Landschaft mit schneebedeckten Feldern. Häuser begannen zu schwinden und Telefonmasten wichen zerzausten Tannen, die der Neuschnee beschwerte. Der alternative Rock-Radiosender, den Jodie in Baltimore eingestellt hatte, kratzte und spie lethargische Country-Musik hervor.
    Letztlich schaltete sie ihn ab und betrachtete die Straßenkarte, die sie auf ihrem Schoß aufgefaltet hatte. » Wie heißt das Gebirge dort vor uns? «
    » Allegheny. «
    Nur die schwachen farblosen Gipfel erhoben sich aus dem Nebel, sie glichen einem langen Rücken eines Brontosaurus.
    » Herr im Himmel. Westlake ist nicht einmal auf der Karte eingezeichnet. « Sie schaute aus dem Fenster. » Jede Wette, dass wir die nächsten zwanzig oder dreißig Meilen keiner Menschenseele begegnen werden. «
    Trotz der heiklen Straßenverhältnisse, ließ ich mich zu einem kurzen Blick auf meine Frau hinreißen. Mit ihrem kantigen Gesicht, der mokkabraunen Haut und der Wollmütze mit Jacquard-Muster, unter der ihr federndes, schwarzes Haar herausquoll, sah sie plötzlich erschreckend jung aus. Erinnerungen an unseren ersten gemeinsamen Winter in der Londoner Nordstadt kehrten wieder, wie wir vor dem Holzofen gekuschelt hatten, weil die Heizung nicht funktionierte, und uns dabei eine grässliche britische Sitcom im Kabelfernsehen angeschaut hatten. London hatte uns zwar nicht übel mitgespielt, aber wir waren froh über die Möglichkeit, wieder in die Staaten zurückzukehren – in meinen Heimatstaat – und unsere eigenen vier Wände zu beziehen.
    Die vergangenen zehn Jahre, in denen wir gerade so über die Runden gekommen waren, hatten sich mit meinem jüngsten Roman Waterview endlich bezahlt gemacht. Die Absatzzahlen schnellten in die Höhe, und Hollywood bekundete Interesse an einer Verfilmung. Der Film kam nie zustande, allerdings ließ das Geld für die Option meinen bisherigen Verdienst durch die Verkäufe lächerlich wirken, so entschieden wir uns dazu, unsere zugige Wohnung in Kentish Town gegen ein Einfamilienhaus einzutauschen. Daran, wieder in die USA zu ziehen, dachten wir nicht, bis Adam anrief und meinte, er habe ein Haus für uns in seiner Nachbarschaft gefunden. Die Besitzer waren bereits ausgezogen und suchten dringend einen Käufer. Das Angebot verhieß, dass es schnell gehen sollte. Nachdem Jodie und ich übereingekommen waren, vertrauten wir blind dem Urteilsvermögen meines älteren Bruders und kauften das Anwesen ungesehen.
    » Bist du nervös? « , fragte Jodie.
    » Wegen dem Haus? «
    » Nein, weil du deinen Bruder wiedersehen wirst. « Sie legte mir eine Hand aufs Knie.
    » Wir sind miteinander im Reinen « , versicherte ich, wobei ich mich allzu deutlich daran erinnerte, was geschehen war, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Wäre es nicht immer noch so eindrücklich gewesen, hätte es genauso gut ein Traum beziehungsweise Albtraum sein können.
    » Wir hatten schon lange keine Familie zu Weihnachten um uns herum. «
    Ich antwortete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher