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Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Titel: Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
Autoren: Ronald Malfi
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lag es daran, dass mir keine anderen Fahrzeuge begegneten, vielleicht auch an der schönen Regelmäßigkeit der Kurven und Abzweigungen, während sich die Häuser allzu gewohnt zur trist verbauten Stadtkulisse aneinanderreihten. Jedenfalls dämmerte ich allmählich dahin. So driftete ich mehrmals über den Mittelstreifen weg. Schneller, als es vernünftig bei solchem Regen war. Schließlich gähnte ich wieder und gab mir einen Ruck, um mich zur Konzentration zu zwingen. Dazu rieb ich mir den Schlaf aus den Augen.
    Oh, das wirst du nicht tun, oder? Verdammt noch mal, wag es ja nicht …
    Das war mein erster Gedanke, als ich ihn auf der Straße stehen sah. Ungefähr hundert Yards entfernt. Ein dunkler Ein-Zoll-Strich, den die Scheibenwischer nicht entfernen konnten. Im perfekt runden Kegel der Scheinwerfer des Midgets flatterte sein abgetragener Staubmantel wie schwarze Lumpen im Wind. Die Rockschöße aus Kammgarn schlugen gegen seine Beine, was aussah, als wolle ihm ein fieser Pinscher in die Waden beißen. Er glotzte mich unbeeindruckt an und fuchtelte mit einer Flasche Hochprozentigem herum und alles, was mir in den Sinn kam, war: Der Bastard will Schisshase spielen!
    Keine Ahnung, wie ich darauf kam. Scheinbar war eine Hintertür in meinem Hirn aufgegangen, um diese eine und plötzlich eiskalte Gewissheit hereinzulassen: Der alte Irre putschte sich hoch für einen Zusammenstoß, den er mit seiner klapprigen Statur nur verlieren konnte.
    »Du willst Selbstmord begehen«, murmelte ich im Versuch, den Nebel der Müdigkeit um meinen Schädel zu vertreiben. »Schön, aber mag dich nicht auf dem Gewissen haben.«
    Sein Gesicht wurde durch ein breites Grinsen gespalten; eine Grimasse, bei der es sich um eine optische Täuschung handeln musste. So rasch die Entfernung schwand, zogen sich die schummrigen Ränder meines Gesichtskreises zusammen, und ich erfasste die Welt – die wirkliche Welt – vor der Windschutzscheibe gestochen scharf. Der alte Mann wirkte in diesem bizarren Helldunkelgemälde seltsam glückselig, obwohl seine Beine gegen den Kühlergrill krachen würden, ehe sein Körper wie eine Gliederpuppe durch die Luft wirbeln und er seinem Schöpfer entgegentreten würde.
    Als sich unsere Blicke begegneten, kam die entsetzliche Erkenntnis: Ich war der Mörder, er das Opfer. Ich wollte mir einreden, die Reflexion der Scheinwerfer habe mich bloß geblendet, aber dem war nicht so. Im Regen verschwamm sein Bild, als zerfließe er. Seine Augen schienen mich anzuflehen, ich müsse das Gaspedal durchtreten und ihn schnell umpflügen, aber ich konnte nicht. Instinktiv rammte ich den Fuß auf die Bremse und richtete ein Stoßgebet gen Himmel: »Bittebittebitte …«
    An welchen Gott oder Engel auch immer, der samstagmorgens um drei Uhr über Klavierspieler und Penner wachen mochte.
    Der Eindruck, dass die Reifen auf dem Asphalt griffen, währte nicht lange. Stattdessen stellte sich Entsetzen ein, als der regennasse Belag das kümmerliche Profil, das ich noch nicht abgefahren hatte, hinfällig machte. Die Räder blockierten, und ich verlor die Kontrolle über den Midget, noch bevor ich die Gelegenheit dazu bekam gegenzulenken.
    Mein Gebet war auf taube Ohren gestoßen; nicht, dass ich mir echte Hoffnungen gemacht hätte.
    Er trat auf die Straße, blieb stehen und streckte die Hände mit der Flasche darin aus, wie um den Aufprall abzufedern oder den Midget im Freilauf abzulenken. Beides schien für ein Gerippe wie ihn unmöglich, und seine verzerrte Fratze deutete an, dass er sich dessen völlig bewusst war.
    Die Nadel des Tachometers schwenkte geradezu scheußlich elegant nach links zurück. Von sechzig auf null. Der Wagen wurde jedoch nicht langsamer.
    Warum ich?, wollte ich schreien – und tat es letztlich auch, obwohl ich nicht weiß, ob selbst besonders hellhörige Ohren meine Lautäußerungen als Worte erkannt hätten.
    Und als er schließlich durchs Blauschwarz der Nacht flog, hörte ich einzig sein Lachen.
    Die vage Vermutung wurde zur Gewissheit: Ich war mir sicher, ihn umgebracht zu haben. Bewegen konnte ich mich nicht – nicht einmal, um es herauszufinden. Mit einem Mal war ich das Opfer, wartete nach dem Eklat in fassungsloser Agonie auf die Sirenen von Polizei und Notarzt, die sich anschickten, die Scherben aufzusammeln.
    Meinen Händen jedoch widerstrebte dies; sie zogen am Türgriff und öffneten die Tür. Bevor mich noch das Zittern übermannen konnte, schlüpfte ich aus dem Fahrersitz und stellte mich
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