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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Autoren: Andreas Eschbach
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PROLOG
    I ch weiß jetzt, wie man es machen muss, damit alle Menschen reich sind«, sagte Hiroshi.
    »Quatsch«, sagte Charlotte. »Das geht nicht.«
    »Doch, das geht«, beharrte er.
    »Schaukel lieber«, sagte Charlotte. Es ärgerte sie, dass Hiroshi nur auf dem Brett saß und knirschende Geräusche mit der Kette machte. Sie stieß sich ab, schaukelte. »Los! Wer am höchsten kommt!«
    Der Himmel war heute Abend wie dunkelblaues Glas, unendlich weit und geheimnisvoll. Keine einzige Wolke war zu sehen, nur ein erster, winziger Stern, der aufgeregt zwinkerte und blinkte. Wie eine Einladung, ihn doch zu besuchen. Wenn man dort hinauffliegen könnte …! Und die Luft roch warm und nach Sommer, fremdartigen Gewürzen, nach frisch gemähtem Gras.
    »Schaukel doch!«, rief sie. »Ich glaub dir eh nicht!«
    »Du wirst schon sehen.«
    »Ich weiß, was du dir ausgedacht hast. Du denkst, wenn man einfach nur genug Geldscheine druckt, dann sind alle Leute reich«, schrie Charlotte, während die Schaukelschwünge sie immer weiter und weiter hinauftrugen und der Wind ihr ganz herrlich ins Kleid fuhr. »Aber das funktioniert nicht. Mein Papa hat mir das genau erklärt. Davon wird einfach alles nur teurer, denn es gibt ja nicht mehr Sachen, nur weil es mehr Geldscheine gibt!«
    Hiroshi warf ihr einen verächtlichen Blick zu. »Das weiß ich selber«, rief er.
    »Na also. Dann schaukel endlich! Wer sich traut zu springen!« Charlotte jauchzte. Heute würde sie sich trauen! Sie würde sich ganz, ganz hoch hinaufschwingen und dann loslassen.
    Und fliegen!
    »Du wirst schon sehen«, rief Hiroshi noch einmal. Dann fing auch er an zu schaukeln, stieß sich mächtig ab, legte sich ins Zeug, um zu ihr aufzuholen. »Wenn ich groß bin, mach ich das!«
    »Was denn?«
    »Dass alle Leute reich sind. Aber echt reich! Dass jeder alles hat, was er will. Und so viel er will.«
    Charlotte schwang mit aller Kraft weiter und überlegte, was sich Hiroshi wohl wirklich ausgedacht haben mochte. Die Schaukel quietschte jämmerlich, und sie begann, ein wenig zu schwanken, weil eines der Beine nicht mehr fest in dem Beton steckte, in dem es hätte verankert sein sollen. »Wie willst du das denn machen?«
    »Verrat ich nicht.«
    »Weil du’s nicht weißt. Weil du bloß angeben willst.«
    Damit war Hiroshi nicht zu beeindrucken. Das hatte sie schon gewusst. Er war sich immer so unglaublich sicher in allem, was er sagte!
    »Wart’s einfach ab«, schrie er, warf die Beine himmelwärts und hatte aufgeholt.
    Charlotte keuchte vor Anstrengung. »Wenn das wahr ist, dann musst du springen!«
    »Okay!« Hiroshi raste jetzt so wild hin und her, hin und her, vor und zurück, als wolle er sich mit der Kette um die Stange oben wickeln. »Aber weißt du, was ich mich frage?«
    »Was?«
    »Warum vor mir noch niemand draufgekommen ist, wie man das machen muss!«, schrie Hiroshi. »Es ist nämlich unglaublich einfach! «
    Damit ließ er los und flog, flog durch die Luft wie aus einer Kanone geschossen. Eine Weile schien er zu schweben, dazu bestimmt, immer weiter und weiter zu fliegen, bis in den Himmel hinauf und in den Weltraum dahinter. Aber dann kam er doch auf dem Rasen auf, rollte sich jauchzend ab und lachte.
    Charlotte beobachtete ihn neiderfüllt. Sie hatte aufgehört, sich ins Schaukeln hineinzusteigern, klammerte sich nur an die Ketten und wartete ab, bis sie ausgeschwungen hatte. Als es so weit gewesen wäre, loszulassen, hatte sie es doch nicht gekonnt. Wieso nicht? Wo sie es sich doch so sehr wünschte!
    Charlotte Malroux kannte mehr Vergangenheit als irgend jemand sonst, doch die Zukunft kannte sie nicht.
    Sie war erst zehn Jahre alt und wusste noch nicht, was für eine Gnade das war.

DIE INSEL DER HEILIGEN
1
    H iroshi und seine Mutter lebten im dritten Stock in einem der Häuser gegenüber der französischen Botschaft, wo sie als Wäscherin arbeitete. Sie hatten zwei Zimmer und ein Bad. Im kleineren der beiden Zimmer schlief Mutter. Das andere diente als Küche, Esszimmer und Wohnzimmer. Hinter einem Wandschirm standen Hiroshis Bett und das Regal, in dem er seine Sachen aufbewahrte. Über dem Bett hatte er ein schmales Fenster aus drei Glassegmenten, die man schräg stellen konnte, um frische Luft hereinzulassen.
    Sofern es welche gab. Das war hier, nahe dem Zentrum von Tokio, nicht zu allen Jahreszeiten selbstverständlich. Im Sommer war es nachts oft so schwül und warm, dass Hiroshi nicht schlafen konnte, und manchmal half nicht einmal Regen.
    So war
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