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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Autoren: Andreas Eschbach
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Kuh!«, schrie Mutter unvermittelt los, richtete sich auf, warf ein Kissen quer durchs Zimmer und ein zweites gleich hinterher. »Siehst du nicht, dass es mir schlechtgeht? Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Musst du keine Schulaufgaben machen? Hast du nichts zu lernen, verdammt noch mal?«
    Nein, da war nichts mehr zu retten. Charlotte flüchtete ohne ein weiteres Wort.
    Nach einer weiteren Runde durch die riesige, dunkle Wohnung verkroch sie sich in ihrem Zimmer. Schulaufgaben? Sie hatte keine Schulaufgaben. Es waren Ferien, auch wenn man, wie sie, von einem Hauslehrer unterrichtet wurde. Das war ja das Problem.
    Sie nahm eine Puppe vom Fußende ihres Bettes, wo sie alle Sachen aufbewahrte, von denen sie noch nicht wusste, wohin sie gehörten. Die Puppe hatte Papa ihr geschenkt, als sie von Delhi nach Tokio mussten. Charlotte wusste noch nicht einmal, wie sie heißen sollte. Auf dem Stoffband in den langen blonden Haaren hatte Denise gestanden, aber das war ein blöder Name für eine Puppe, fand Charlotte.
    »Sag doch mal, was willst du denn machen?«, fragte Charlotte, sah die Puppe forschend an und drückte den Knopf an ihrem Rücken, der sie sprechen ließ.
    »Ich will tanzen gehen« , erklärte die blonde Puppe.
    »Tanzen gehen? Wir dürfen nicht mal aus dem Haus. Schlag dir das aus dem Kopf.«
    »Komm, wir machen eine Party« , verlangte die Puppe daraufhin.
    »Eine Party?« Charlotte schüttelte die Puppe ärgerlich. Überhaupt, was für eine blöde Pieps-Stimme sie hatte! »Du spinnst wohl? Wir müssen leise sein, weil meine Mutter Kopfschmerzen hat. Wir können nicht mal ins Museum gehen.«
    »Ist das Leben nicht wundervoll?«
    Das war der Moment, in dem die Blase aus Enttäuschung und Ärger in Charlotte aufplatzte. Mit einem wütenden Aufschrei schleuderte sie die Puppe von sich, quer durch den Raum. »Du bist eine dumme Kuh!«, schrie sie ihr hinterher. »Du begreifst überhaupt nichts!«
    Im nächsten Augenblick tat es ihr leid, aber nun war es schon passiert: Der Kopf hing abgebrochen herunter, Drähte standen heraus, das Haarteil war abgefallen und einer der Arme auch.
    »Das hast du jetzt davon«, erklärte Charlotte. »Ein Kind soll seiner Mutter eben nicht widersprechen.«
    Da war nichts mehr zu machen. Die Puppe ohne richtigen Namen war kaputt. Charlotte sah sich ratlos um. Was sollte sie jetzt mit den Überresten anfangen? Sie irgendwo herumliegen lassen war nicht ratsam; ihre Mutter würde die Bescherung heute Abend beim Gutenachtkuss sehen und schimpfen.
    Aber wenn die Puppe gar nicht da war! Das würde ihr nicht auffallen, so viele Puppen, wie Charlotte besaß. Sie holte eine Plastiktüte, verstaute die Trümmer darin und eilte damit aus dem Zimmer, die Treppe hinunter zur Seitentür, neben der, wie sie wusste, die Mülleimer der Hauswirtschaft standen.
    Da war das Mädchen. Hiroshi hielt die Luft an.
    Sie kam aus derselben Tür, in der sie damals, in jener Nacht, verschwunden war. Sie hielt etwas in der Hand, eine orangefarbene Dai-ei -Plastiktüte. Und sie schien ein schlechtes Gewissen zu haben, so, wie sie sich nach allen Seiten umsah, lauschte, lauerte.
    In seine Richtung sah sie nicht.
    Hiroshi starrte sie an. Wie hell ihre Haut war! Und wie ihr langes schwarzes Haar glänzte! Auch bei Tageslicht sah sie aus wie ein Engel. Wie sie wohl hieß? Und was mochte sie da drinnen die ganze Zeit gemacht haben?
    Jetzt setzte sie sich in Bewegung. Wie der Blitz eilte sie zu den Mülleimern, die in der Ecke zwischen der Hauswand und einem Schiebetor standen, hob einen der Deckel an und warf die Plastiktüte hinein. Im nächsten Moment war sie schon wieder im Haus verschwunden.
    Hiroshi sank enttäuscht in sich zusammen. Das war kurz gewesen. Er hatte nicht mal ihr Gesicht richtig gesehen, weil sie dauernd woanders hingeschaut hatte.
    Was wohl in der Tüte gewesen war, dass sie sie so heimlich fortgeschafft hatte?
    Das ließ sich herausfinden, wenn er sich nur traute.
    Und so lange, wie er jetzt gewartet hatte, wäre es blöd gewesen, sich nicht zu trauen. Hiroshi sprang auf, schlüpfte in seine Schuhe und rannte los.
    Selbstverständlich kannte er in der näheren Umgebung jeden Stein und jeden Winkel. Und es war gar nicht mehr zu zählen, wie oft er das Gelände der Botschaft schon umrundet hatte. Den Haupteingang versperrte ein großes grünes Rolltor mit Stacheln auf der Oberkante, hinter denen man die französische Fahne an einem Mast hängen sah. Ging man von dort aus nach rechts, kam
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