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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Autoren: Andreas Eschbach
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ist billiger als die Strecke mit dem Zug, seit der Shinkansen aufgeschlagen hat.« Sie musterte Hiroshi. »Freust du dich nicht? Es hat dir doch gefallen zu fliegen.«
    »Ja«, sagte Hiroshi. Vorletztes Jahr war das gewesen; das erste Mal in seinem Leben, dass er geflogen war.
    Aber in Wahrheit gruselte Hiroshi sich vor den Familienbesuchen in Minamata. Nicht so sehr wegen seiner Großeltern, die zwar freundlich zu ihm waren, aber letztlich doch reserviert, weil er ein halber Gaijin war, nicht richtig dazugehörte … Nein, vor allem wegen Tante Kumiko, der älteren Schwester seiner Mutter. Sie hatte in ihrer Jugend eine Quecksilbervergiftung erlitten, wie viele Leute in der Gegend, und lag nur verkrümmt und reglos im Bett, die Arme verkrampft und mit verdrehten Augen. Die Ärzte sagten, es sei erstaunlich, dass sie noch lebe; die meisten mit ihrer Krankheit waren inzwischen gestorben.
    Immerhin schrie sie nicht mehr, so wie früher. Und die grässlichen Zuckungen hatte sie auch nicht mehr.
    Die Bon-Feste in Minamata liefen immer gleich ab. Sie würden alle so tun, als seien sie eine großartige Familie, in der sichalle liebten und in der alles in Ordnung war. Und wenn Mutter und er wieder zu Hause waren, würde sie wochenlang über die Umweltverschmutzung schimpfen und die Autoabgase und den Lärm. Sie würde sich wieder vor Gift im Wasser ängstigen und jede Menge Wasser in Flaschen kaufen, das Hiroshi dann in die Wohnung hochschleppen musste.
    Er beschloss, nicht daran zu denken. Und blieb weiter am Fenster sitzen.
    Bis schließlich etwas geschah, das seine Ausdauer belohnte.
    Wieder einmal waren überall die Vorhänge zugezogen, war es in allen Zimmern so düster, als sei jemand gestorben. Charlotte bemühte sich, kein Geräusch zu machen, während sie auf der Suche nach ihrer Mutter durch die Wohnung schlich.
    Sie fand sie schließlich im Wohnzimmer auf dem Kanapee liegend, einen Arm über dem Gesicht und allem Anschein nach schlafend. Halb zumindest.
    »Maman?« Im Grunde wusste Charlotte schon, was los war: Mutter hatte wieder ihre Kopfschmerzen. Sie hatte immer Kopfschmerzen.
    Ein entsagungsvolles Ächzen aus Richtung des Sofas. »Kind! Was ist denn?« Ein Stöhnen. »Ich habe Kopfschmerzen! «
    »Wir wollten doch heute …«, begann Charlotte und brach mitten im Satz ab. Sie hatte keine Hoffnung, aber sie musste es doch wenigstens sagen , oder?
    »Ach so.« Ein geräuschvoller Atemzug. Dann, nach einer Weile: »Ein andermal.«
    »Warum darf ich nie raus?«
    »Du darfst doch raus.«
    »Ich meine nicht in den Garten. Auf die Straße!«
    Maman knurrte unwillig. »Schlag dir das aus dem Kopf. Das ist viel zu gefährlich.«
    Charlotte spürte Ärger in sich hochsteigen, Ärger und Enttäuschung, die schon eine ganze Weile in ihr gärten, und es wurde immer schwieriger, das alles in sich zu behalten. »In Delhi hates mir besser gefallen«, erklärte sie fest. »Warum kann ich hier nicht auch auf eine internationale Schule gehen?«
    »Ich will nicht, dass du die ganze Zeit auf Schulen gehst, in denen man nur Englisch spricht«, erwiderte ihre Mutter mit ersterbender Stimme.
    »Was ist denn daran so schlimm?«
    Ein abgrundtiefer Seufzer. »Ein Kind widerspricht seiner Mutter nicht. Geh und mach irgendwas und lass mich in Ruhe; ich habe Kopfschmerzen.«
    Also schlich Charlotte weiter. Wie langweilig alles war! Sie ging auf die Terrasse hinaus, setzte sich in den Schatten der Hauswand und sah dem Gärtner zu, der drüben beim Pool die Blumen wässerte. Sie konnte schwimmen gehen. Aber das hatte sie in letzter Zeit so oft gemacht; sie hatte keine Lust mehr dazu.
    Nach einer Weile schlich sie zurück zu ihrer Mutter, die immer noch reglos im Dunkeln lag.
    »Yumiko könnte doch mit mir in das Museum gehen«, schlug sie behutsam vor.
    Mutter fuhr erschrocken hoch. »Was? Mon dieu! Du immer mit deinen Museen! Was bist du bloß für ein Kind? Kein normales Kind geht gern in Museen! «
    Das war immerhin kein Nein, erkannte Charlotte. Wenn es überhaupt eine Chance gab, den heutigen Tag noch zu retten, dann jetzt. »Aber Yumiko könnte das doch wirklich machen, oder? Sie kennt sich in Tokio aus. Und sie kann auf mich aufpassen.«
    Schweigen. Jammervolles, leidendes Schweigen.
    »Es war ein Fehler, ein japanisches Kindermädchen einzustellen«, murmelte Mutter dumpf.
    »Yumiko ist sehr nett«, widersprach Charlotte. Das stimmte zwar nicht ganz, aber jedenfalls war mit ihr meistens gut auszukommen.
    »Sie ist eine dumme
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