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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd
Autoren: Emile Zola
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den Gruß. Und damit verschwand Alles im glänzenden Sonnenschein, die Reihen der Equipagen flossen wieder zusammen und Renée erblickte über den Köpfen der Pferde, zwischen den Rücken der Lakaien nur mehr die grünen Kappen der Vorreiter, deren goldene Eicheln auf- und niederhüpften.
    Einen Moment verharrte sie mit weit geöffneten Augen, ganz erfüllt von dieser Erscheinung, die ihr eine andere Stunde ihres Lebens in Erinnerung brachte. Es schien ihr, als hätte der Kaiser, indem er sich unter die übrigen Wagen mengte, der langen Reihe den letzten nothwendigen Glanz und dem Siegesdefilé einigen Sinn verliehen. Dies war jetzt ein förmlicher Triumph. Alle diese Räder, diese dekorirten Männer, diese schmachtend hingegossenen Frauen folgten dem Glanz und den Räderspuren des kaiserlichen Wagens. Dieses Gefühl trat so scharf und schmerzlich auf, daß die junge Frau das gebieterische Bedürfniß empfand, diesem Triumph den Rücken zu wenden, diesen Ruf Saccard's, der ihr noch in den Ohren tönte, zu vergessen, diesen Anblick des Vaters und Sohnes, die Arm in Arm langsam dahinschritten, zu fliehen. Die Hände auf die Brust gedrückt, als empfände sie dort ein innerliches Brennen, dachte sie nach und mit einer plötzlich erwachenden Hoffnung, Erleichterung und Beruhigung zu finden, neigte sie sich vor und rief dem Kutscher zu:
    »Nach dem Hotel Béraud!«
    Der Hof hatte sein düsteres Klosteraussehen bewahrt. Renée schritt durch die Arkaden, ganz glücklich über die Feuchtigkeit, die sich auf ihre Schultern senkte. Sie näherte sich dem moosbedeckten Trog, dessen Ränder durch den Gebrauch abgenützt waren, betrachtete den halb verwitterten Löwenkopf mit dem halb geöffneten Rachen, aus welchem durch ein eisernes Rohr ein Wasserstrahl rann. Wie oft hatten Christine und sie die dünnen Arme um diesen Kopf geschlungen, um den dünnen Wasserstrahl aufzufangen, dessen eisiges Geriesel sie so gerne auf ihren kleinen Händen verspürten! Darauf stieg sie die große, stille Treppe empor. Sie sah ihren Vater in der Tiefe der weiten Räume; er richtete seine hohe Gestalt empor und verschwand langsam in dem Schatten dieses alten Hauses, in dieser feierlichen Einsamkeit, welche er seit dem Tode seiner Schwester nicht mehr verließ und sie dachte an die Männer, die sie im Bois gesehen, an diesen anderen Greis, den Baron Gouraud, der seinen zwischen zwei Kissen gebetteten morschen Leib von den Sonnenstrahlen erwärmen ließ. Sie stieg noch höher, über die Dienertreppe, schritt die hallenden Korridore entlang, dem Kinderzimmer zu. Oben angelangt fand sie den Schlüssel am gewohnten Nagel, einen großen, verrosteten Schlüssel, in dessen Griff sich Spinnen häuslich niedergelassen. Das Schloß gab einen klagenden Laut von sich. Wie traurig war dieses Kinderzimmer! Das Herz krampfte sich ihr zusammen, als sie dasselbe so leer, so grau, so still wiedersah. Sie verschloß die offen gebliebene Thür des Vogelkäfigs von der unbestimmten Empfindung geleitet, daß die Freuden ihrer Kindheit durch diese Thür entflattert sein mochten. Vor den noch mit verhärteter, geborstener Erde gefüllten Blumentöpfen blieb sie stehen; ihre Finger zerbröckelten unbewußt einen vertrockneten Rhododendronzweig, – dieses Skelett von einer Pflanze, verdorrt und von Staub bedeckt, war Alles, was von den blühenden Blumenkörben zurückgeblieben. Und auch die Matte, die ihre Farbe verloren und von den Ratten zernagt worden, bedeckte noch den Boden, melancholisch wie ein Leichentuch, das seit Jahren des versprochenen Leichnams harrt. In einer Ecke fand sie inmitten dieser stummen Verzweiflung, dieser grenzenlosen Verlassenheit, eine ihrer alten Puppen wieder; die ganze Kleie war durch ein Loch ausgeronnen und der Porzellankopf lächelte dessenungeachtet noch immer mit seinen Emaillippen auf diesem zusammengeschrumpften Leib, welchen Puppen-Thorheiten erschöpft zu haben schienen. Renée erstickte fast in dieser verdorbenen Atmosphäre ihrer ersten Jugend, Sie öffnete das Fenster und blickte in die endlose Landschaft hinaus. Hier war nichts beschmutzt worden; sie fand die ewigen Freuden, die ewige Jugend der freien Luft wie ehedem vor. Hinter ihr sank die Sonne allmälig tiefer und sie sah nur die Strahlen des schwindenden Gestirns mit unendlicher Zartheit diesen Theil der Stadt vergolden, welchen sie so gut kannte. Es war wie ein letzter Gesang des Tages, ein Refrain der Heiterkeit, der sich schlummernd über das ganze All herniedersenkte.
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