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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd
Autoren: Emile Zola
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Unten lag der Kohlenabladeplatz in flimmerndem Lichte, während bei der Constantine-Brücke das schwarze Spitzenwerk der eisernen Bögen und Balken sich scharf von den weißen Pfeilern abhob. Zur Linken breiteten sich die Schatten der Weinhalle und des Jardin des Plantes gleich einem regungslosen Meere aus, dessen grüne Oberfläche sich in dem beginnenden Dunkel zu versenken anschickte. Links waren der Quai Henri Quatre und der Quai de la Rapée mit denselben Häusern sichtbar, welche die beiden Schwestern schon vor zwanzig Jahren gesehen, mit denselben braunen Wagenremisen und röthlich schimmernden Schornsteinen. Und die Bäume überragend erschien ihr das schieferbedeckte, im Glanze der scheidenden Sonne bläulich schimmernde Dach der Salpêtrière mit einem Male wie ein alter Freund. Was sie aber gewissermaßen beruhigte, ihre Brust mit einiger Frische erfüllte, das waren die langgedehnten, grauen, steilen Ufer, das war in erster Linie die Seine, die Riesin, die sie vom Rande des Horizonts gerade auf sich zueilen sah, ganz wie zu jener glücklichen Zeit, da sie gefürchtet, der Fluß könnte immer größer werden und bis zu ihrem Fenster emporsteigen. Sie erinnerte sich, wie sehr Christine und sie diesen Fluß geliebt, wie sie von einem Schauer vor diesem grollenden Wasser erfaßt worden, welches sich zu ihren Füßen ausbreitete und sich hinter ihnen in zwei Arme theilte, welche sie nicht mehr sahen, deren große, reine Liebkosung sie jedoch deutlich empfanden. Sie waren schon damals kokett und sagten, die Seine habe ihr schönes Kleid aus grüner, weißgeflammter Seide angelegt, welches bei den Strömungen, wo sich das Wasser kräuselte, mit Rüchen besetzt schien, während über den Gürtel der Brücke hinaus das helle Tageslicht sonnenfarbenes Zeug über den glatten Spiegel breitete.
    Und indem Renée die Augen emporhob, betrachtete sie den unendlichen Himmel, welcher sich blau und rein über ihr wölbte, in der herannahenden Dämmerung aber schon ein wenig dunkler anzusehen war. Sie gedachte der mitschuldigen Stadt, der hell beleuchteten Boulevards, der heißen Nachmittage im Bois, – und als sie den Kopf sinken ließ, sah sie mit einem Schlag das friedliche Bild ihrer Kindheit, diesen Winkel arbeitsamer Thätigkeit vor sich, in welchem sie von einem friedlichen, ruhigen Leben geträumt. Maßlos quoll die Bitterkeit in ihrem Herzen empor und die Hände faltend schluchzte sie in die sinkende Nacht hinaus.
    Als Renée im darauffolgenden Winter an vorgeschrittener Hirnhautentzündung starb, wurden ihre Schulden von ihrem Vater bezahlt. Die Rechnung bei Worms allein belief sich auf zweihundertsiebenundfünfzigtausend Francs.

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