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Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt

Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt

Titel: Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
Autoren: Campus
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mich wieder und wieder damit befasst«, erzählte er mir. »Diesem Rätsel galten meine letzten Gedanken vor dem Einschlafen, ich habe gespürt, wie es meinen ganzen Körper ergreift.«
    Und dann knackte er diese harte Nuss.
    »Eines Tages lief ich durch den Wald, und da passierte es. Ich hatte mir all die Blätter der Bäume angesehen, als mit einem Mal das ›Ich‹ verschwand. Wir alle kennen so etwas, aber nehmen es nicht so wichtig. Doch als ich diese Erfahrung machte, war ich ja darauf vorbereitet, und dann hat es ›klick‹ gemacht. Mir wurde klar: ›Das ist der ganze Kan.‹« Thomas hatte erfasst – wenn auch nur annähernd –, dass es die Einheit der Natur ist, die den Kern des buddhistischen Verständnisses der Welt bildet. Diese | 11 | Einheit lieferte ihm die Antwort auf den Kan. Aufgeregt machte Thomas bei seinem nächsten Gespräch mit einem erfahrenen Mönch eine Geste – »eine einfache Geste, die man immer wieder im Alltag macht« –, um anzudeuten, dass er die Antwort auf besagten Kan intuitiv erfasste hatte. Er hatte das erste Tor passiert: Nun war er ein offizieller Schüler des Zen-Buddhismus.
    Nicht lange danach gelangte Thomas zu seiner Erkenntnis, was es mit Leidenschaft im Beruf und mit Berufung auf sich hat. Wieder ging er in demselben Wald spazieren, wo er auch seinen ersten Kan gelöst hatte. Beflügelt von dem Gedanken, dass ein Anfang gemacht war, begann er allmählich, auch die anderen Lektionen der Mönche zu verstehen, die ihm am Anfang völlig unverständlich vorgekommen waren. »Plötzlich verstand ich, dass es bei all diesen Lektionen um nichts anderes ging als bei besagtem Kan«, meinte Thomas zu mir. Anders ausgedrückt, das war es. Das war es, was ein Leben als Zen-Mönch offerierte: immer mehr Einsichten in den Kern ein und desselben Kans.
    Thomas’ lang ersehnter Traum war somit in Erfüllung gegangen: Er konnte sich mit Fug und Recht als Zen-Praktizierender bezeichnen – und doch war er meilenweit von dem Gefühl des inneren Friedens und Glücks entfernt, das ihm in seinen Träumen von diesem Tag immer vorgeschwebt war.
    »In der Realität hatte sich rein gar nichts verändert. Ich war noch immer derselbe Mensch mit denselben Ängsten und Sorgen. Es war Sonntagnachmittag, schon relativ spät, als mich diese Erkenntnis durchfuhr, und dann liefen mir auch schon die Tränen über mein Gesicht.«
    Thomas’ Leidenschaft hatte ihn bis in das Zen-Kloster in den Bergen geführt, da er – wie viele andere auch – aus tiefstem Herzen davon überzeugt war, dass der Schlüssel zum persönlichen Glück darin liegt, seine wahre Berufung zu erkennen und diese dann mit Herzblut zu leben. Doch wie Thomas an jenem Sonntagnachmittag erkannte, war diese Überzeugung erschreckend naiv. Mit der Erfüllung seines Herzenswunschs, ein wahrer Zen-Praktizierender zu sein, war sein Leben nicht wie von Zauberhand wunderbar geworden. | 12 |
    Wie Thomas feststellte, gestaltet sich der Weg ins Glück – zumindest was den eigenen Beruf anbelangt – weitaus schwieriger als gedacht und beschränkt sich nicht auf die Beantwortung der klassischen Frage »Was soll ich bloß mit meinem Leben anfangen?«.
Die Suche beginnt
    Im Sommer 2010 war ich geradezu besessen von der Frage: Weshalb gelingt es manchen Menschen, ihr berufliches Glück zu finden, während es so viele andere nicht schaffen? Bei meinen Recherchen zu diesem Thema lernte ich Menschen wie Thomas kennen, deren Geschichten eine Erkenntnis in mir reifen ließen: Wenn die eigene Arbeit Spaß machen und innere Befriedigung verschaffen soll, sollte man den Rat, der Leidenschaft zu folgen, möglichst schnell vergessen!
    Vermutlich fragen Sie sich jetzt, wie in aller Welt ich darauf gekommen bin, mich diesem Thema zu widmen. Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht mehr so ganz genau, aber in etwa lief das Ganze so ab: Im Sommer 2010, als ich meine künftige Besessenheit erst erahnen konnte, hatte ich eine Postdoktorandenstelle als wissenschaftlicher Assistent am MIT (Massachusetts Institute of Technology) inne. Ein Jahr zuvor hatte ich meinen Doktor in Informatik gemacht. Ich wollte Professor werden, denn schließlich ist das angesichts des MIT-Programms für Hochschulabsolventen im Prinzip die einzige Möglichkeit. Wenn ich alles richtig machte, wäre meine Professur ein lebenslanger sicherer Arbeitsplatz. Anders ausgedrückt, plante ich 2011 meine erste und möglicherweise auch letzte Jobsuche. Wenn es jemals einen richtigen Augenblick dafür
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