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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai
Autoren: Frank Coates
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Namenszeremonie für die kleine Interekai.
    »Das war der Anfang. Und nun, bevor ich es dir enthülle, sollst du noch etwas wissen: Du hast für deine Falschheit teuer bezahlt, aber du wirst noch mehr zahlen.« Sendeyos Bild verschwamm im Nebel. »Mein Fluch wird dir nicht nur bis ins Grab folgen, sondern deinen gesamten Klan heimsuchen. Alle Aiser werden leiden. Es ist dein Schicksal, Bruder, und das Schicksal aller
Laibons
des Aiser-Klans, die dir folgen werden.«
    Sendeyo begann zu singen:
    »O du Laibon der Aiser,
o du Laibon der Aiser,
genieße deine Söhne
genieße deine Söhne, solange du kannst.
Aber achte auf die Geburt einer Tochter.
Lass die erste deiner Töchter dir eine Warnung sein,
denn die zweite Tochter wird den Dämon loslassen,
den Dämon des Todes in deinem Enkang.
Die zweitgeborene Tochter lässt den Dämon los,
den Dämon des Todes in deinem Enkang.
Und viele Massai werden sterben, ich warne dich,
oh, viele, viele Massai werden sterben.«
    Sendeyos Bild schmolz dahin. »Ich gehe jetzt, also verfluche mich ruhig, Lenana. Du kannst mir nichts Schlimmeres antun als das, was mir bereits angetan wurde.«
    »Es ist nicht notwendig, dich zu verfluchen, Sendeyo, denn die gleiche Bosheit, die dich zu diesem Gemetzel getrieben hat, verfolgt dich wie ein verwundeter Löwe. Und sie wird dich ebenso sicher töten.«
    Der kalte Nebel nahm langsam wärmere Rosa- und Gelbtöne an, als das Bild von Lenanas jüngerer Tochter an die Stelle Sendeyos trat. Sie sah ihren Vater aus traurigen, tief liegenden Augen an.
    »Interekai! Tochter, was bringt dich hierher?« Er hatte seit ihrer schwierigen Geburt sehr an seiner zweiten Tochter gehangen. Er hatte getan, was er konnte, damit sie kräftiger wurde, aber sie war schwächlich geblieben. »Komm zu mir, meine Kleine.«
    Sie hob ihm ihre winzige Hand entgegen. Die Farbe des Nebels verblasste. Das Bild des kleinen Mädchens löste sich auf, und das Grau kehrte zurück.
    Lenana schreckte auf. Unter Schmerzen bewegte er sich und kam mühsam auf die Beine.
Ich muss zum
Enkang
zurückkehren!
Er eilte zum Weg zurück.
    O du
Laibon
der Aiser!
    Sendeyos Worte verfolgten ihn, als er durch den hohen Wald eilte.
    Lass die erste deiner Töchter dir eine Warnung sein.
    Er drängte sich durch die rauen Bambusstangen. Sie schnitten, rissen und kratzten ihn.
    Denn die zweite Tochter wird den Dämon loslassen …
    Nun hatte er den Wald hinter sich und rannte durch das hohe Gras. Das
Enkang
mit seinem trägen Rauch und den schläfrigen Ziegen kam in Sicht. Lenana atmete schwer.
    Der Dämon des Todes in deinem
Enkang …
    Durch das Dröhnen in seinem Kopf vernahm er einen schrecklichen Laut, der schwach und verloren über das trockene, brüchige Gras hinwegwehte. Vielleicht war es nur der Wind. Er hielt den Atem an, um es noch einmal zu hören. Nichts. Er eilte weiter. Zwischen den Atemzügen lauschte er angestrengt. Es blieb still.
    Er hielt länger die Luft an, lauschte, atmete dann schnell aus. Es war da, dann war es wieder verschwunden.
    Und viele Massai werden sterben, ich warne dich …
    Auf der flachen Anhöhe oberhalb des
Enkang
füllte er seine Lunge mit dem warmen Duft guter Weiden. Er hielt den Atem abermals an, bis das Geräusch erneut erklang, das die trockene Luft kalt werden ließ. Lenana kannte dieses Geräusch. Er wusste, was im
Enkang
auf ihn wartete.
    Eine lang gezogene Klage ertönte aus der Hütte, aus der nun eine Frau auftauchte, einen kleinen Körper auf den Armen. Hände baumelten schlaff an herabhängenden braunen Armen. Dünne Beine schwangen hin und her, als die schluchzende Frau ihr Gesicht an die Brust des toten Kindes drückte. Zwei weitere Frauen folgten und erhoben ihre Stimmen zu einer schrillen Totenklage, während Lenana auf die Frau mit dem Kind zuging. Seine dritte Frau. Ein lauter werdender Chor der Trauer erfüllte das Tal.
    Lenana hob das Gesicht zum Himmel und zum Wind. Er betete um Vergebung, aber er wusste, er würde diese Schuld mit ins Grab nehmen, wusste, dass das Selbstmitleid, das ihn nun überwältigte, ihn anwidern würde, wenn seine Trauer schließlich nachließ. Tränen liefen ihm über die Wangen. Sein Schrei, der Schrei eines verwundeten Tieres, stieg in
Ngais
klaren blauen Himmel auf.
    Oh, viele, viele Massai werden sterben.

Kapitel 2
    Aus Peabodys Ostafrikaführer (5. Auflage):
    Ein sportlicher Tourist kann sich in Kenia einem Querfeldeinlauf der »Hash House Harriers« anschließen, um die Monotonie von Einkaufen und Safaris
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