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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai
Autoren: Frank Coates
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euer Land nicht, denn wenn ihr das tut, werdet ihr an einer schrecklichen unbekannten Krankheit sterben, eure Rinder werden eingehen, und ihr werdet gegen einen mächtigen Feind kämpfen und verlieren.«
    Falls dieser kurze Abriss den Eindruck einer raschen Wanderung vermittelt hat, die sich ereignete wie ein Sturm, wild und von Zerstörung begleitet, dann war das irreführend. Die Bewegung der Massai erfolgte eher wie ein Dahintreiben, nicht wie eine schnelle Fahrt. Sie zogen mit sachtem Schritt weiter und donnerten nicht einher. Aber die Forderungen ihres Viehs waren für sie wichtiger als alles andere, und alle, die sich ihnen widersetzten, waren zum Untergang verurteilt. Sie vernichteten ihre Feinde vollständig, und sie zogen weiter, wie sich glühender Stein aus einem uralten Vulkan bewegt: träge, tödlich, unaufhaltsam. Sie drängten alle vor sich her, bis sich das Massaiterritorium vom Indischen Ozean bis zu dem großen See, vom Schnee des Kilimandscharo bis zum Rand des sudanesischen Ödlands erstreckte.
    Dem
Großen Laibon
folgte sein Sohn Lenana, der seinem Volk versprach, wenn sie dem weißen Mann etwas von ihrem besten Land gaben, würde das die Eindringlinge friedlich stimmen und weitere Tragödien vermeiden.
    Er hatte sich geirrt.

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    Teil Eins
    Das schwarze Rhinozeros
       

Kapitel 1
    Aus Peabodys Ostafrikaführer (5. Auflage):
    Ein Ostafrikatourist sollte unbedingt den Versuch unternehmen, die gewaltige Anzahl von Stammeskulturen zu erforschen, von denen viele über interessante Überlieferungen verfügen.
    Die Massai erzählen zum Beispiel von einem Ahnen namens Mbatian, dem
Großen Laibon,
der von einem schwarzen Rhinozeros und seltsamen, gefährlichen Männern träumte, die auf dessen Rücken ritten.
    1896, sieben Jahre nach Mbatians Tod, erschien das schwarze Rhinozeros tatsächlich. Es war gefüllt mit Feuer und rülpste Rauchwolken, als es auf eisernen Schienen ins Herz des Massailands rollte. Es brachte wie vorhergesagt den neuen Feind. Und mit ihm kamen die Rinderpest, die die Herden der Massai dezimierte, und die Pocken, die jedem zweiten Mann, jeder zweiten Frau und jedem zweiten Kind einen schrecklichen Tod bereiteten.
    1892
    Der Wald lag dunkel am Fuß des Berges. Als Lenana dieses schattige Haus betrat, schlossen sich grüne Wände um ihn. Die Baumwipfel verbargen den hellen Morgenhimmel, und Lenana spürte, wie seine Stimmung sich verfinsterte, passend zum Dunklerwerden des Dschungels. Seine dünnen Ledersandalen hinterließen Fußabdrücke auf dem moosbedeckten Boden. Sein Weg zog sich langsam bergan, zunächst durch das dichte Unterholz aus Bambus, dann vorbei an massiven Sykomoren und Feigenbäumen. Bald schon schmerzten seine Knie, und es tat weh, zu atmen. Er ruhte sich einen Augenblick aus, und das Schweigen des Waldes umschlang ihn wie ein Umhang. Kein Wind, kein Vogelzwitschern störte die von Ranken umwundenen Äste hoch über ihm.
    Er ging weiter bergauf und erreichte die zerklüfteten Felsformationen kurz vor dem Gipfel, und dann stand er auf dem felsigen Gipfel mit seinen Grasbüscheln und Zwerglobelien.
    Die finstere Stimmung des Waldes war ihm vom grünen Fuß des Berges bis zum felsigen Gipfel gefolgt. Das war nur angemessen, denn Lenana war sehr beunruhigt, und Onjo Lomoya, der bergige Geburtsort seines Ahnen, wusste dies und grübelte mit ihm.
    Er fand das Feld der zu Stein gewordenen Lava, in dem sich eine flache Höhle befand, und setzte sich an den Höhleneingang. Die Sonne erhob sich hinter dem uralten Berg und warf lange Schatten in den Grabenbruch, der sich vor ihm weit nach Westen erstreckte.
    Sein Geist begab sich an jenen stillen Ort, an dem seine Träume und seine Magie verweilten. Er summte sein Begrüßungslied für Ol-le-Mweiya, den Ersten. Mweiya würde wissen, dass Lenana seine Macht verloren hatte. Er würde wissen, wieso Lenana keine Anzeichen des drohenden Sterbens gesehen hatte und warum so viele von seinem Volk umgekommen waren und immer noch starben. Lenana rieb sich die Hände, um sie zu wärmen und den Schmerz zu lindern. Mweiya würde es wissen.
    Selbst die kleine Interekai, seine zweitgeborene Tochter von seiner dritten Frau, war krank, und er, der
Laibon,
war wieder einmal hilflos.
Warum?
    Leise summte Lenana weiter, und der freundliche Nebel sammelte sich in seinem Geist. Die knochigen Ellbogen auf knochige Knie gestützt, sackte der Kopf des
Laibon
langsam nach vorn auf die verschränkten Arme. Der Nebel nahm ein warmes Grün an,
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