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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai
Autoren: Frank Coates
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so heftig unter ihren Hufen, dass Maasintas Haus beinahe eingestürzt wäre. Er hatte schreckliche Angst, bewegte sich aber nicht und gab keinen Laut von sich. Aber noch während die Rinder herabstiegen, erwachte der Dorobo, der ein Nachbar Maasintas war. Als er die zahllosen Rinder sah, die die Schnur herunterkamen, schrie er: »Ai! Ai! Ai!«
    Als Gott das hörte, zog er die Schnur zurück, und es stiegen keine Rinder mehr herab. Gott glaubte, Maasinta hätte gerufen, und er sagte: »Diese Rinder genügen dir also? Nun gut, das ist alles, was du bekommen wirst. Kümmere dich um sie, denn sie sind dein Leben. Sorge gut für sie, wie ich für dich gesorgt habe, denn sie sind das letzte Geschenk, das du von mir erhalten wirst.«
    So kam es, dass die Massai alle Rinder auf der Welt besaßen. Es ist auch der Grund, wieso die Massai die Dorobo verachten. Denn Maasinta war zornig auf seinen Nachbarn, weil er
Ngais
Geschenk verringert hatte. Er verfluchte ihn und sagte: »Dorobo, du bist derjenige, der Gottes Schnur durchtrennt hat. Mögest du so arm bleiben, wie du es immer gewesen bist. Möge die Milch meiner Rinder Gift auf deinen Lippen sein.« Bis auf den heutigen Tag sind die Dorobo Jäger und erhalten nie Lebensmittel von den Massai.
    Die Rinder wuchsen und blühten ebenso wie die Massai, denn wie
Ngai
versprochen hatte, war Rindvieh ihre Stärke.
    Vom Rindvieh bezogen die Massai ihr Essen, ihre Kleidung und ihre Häuser. Rindvieh war ihr Brautpreis und der Maßstab der Stellung eines Mannes in ihrer Gesellschaft. Sie nährten sich von Milch, die sie mit Blut mischten, das sie lebenden Tieren abzapften. Häute und Felle wurden für Matratzen, Sandalen, andere nützliche Dinge und Schmuck verwendet. Der Dung lieferte Baumaterial. Selbst der Urin der Rinder konnte als Medizin und zum Säubern benutzt werden. In Maa gab es über hundert Wörter, um die Tiere zu beschreiben.
    Etwa zu dem Zeitpunkt, als Maasintas Nachkommen in den ostafrikanischen Grabenbruch, das Great Rift Valley, vordrangen, ging der erste Weiße in Mombasa an Land. Inzwischen hatten sich die Rinder der Massai in großer Zahl auf der Savanne ausgebreitet. Gerüchte von einem seltsam bleichen Stamm am äußersten Rand ihres Weidelandes beunruhigte sie kein bisschen.
    Sie fürchteten niemanden, denn sie hatten, seit sie Jahrhunderte zuvor von den leidenschaftlichen Bantukriegern besiegt worden waren, eine tödliche Kriegsmaschinerie entwickelt. Eine enge Formation von Kriegern oder Phalanx bildete eine bewegliche Festung, die hervorragend für die Savanne geeignet war. Und die Waffen der Massai – ein kurzes Schwert und ein Speer mit langem Schaft – sorgten für ihren Schutz, solange die Formation intakt blieb.
    Der Brauch der Massai, Generationen in Altersgruppen zu unterteilen, stammte von Maasintas kushitischer Mutter. Er lieferte die lebenswichtige Verbindung, der die Phalanx während eines Angriffs zusammenhielt. Männer in einer Altersgruppe waren vielleicht keine Blutsverwandten, aber ansonsten in jeder Hinsicht Brüder. Die Altersgruppen wuchsen miteinander von Jungen zu Kriegern und dann zu Ältesten heran. Jeder Schritt festigte diese Verbindung, den Schlüssel zum Erfolg ihrer militärischen Technik. Und es war diese Militärmaschine, die es den Massai erlaubte, die Weideflächen auszudehnen, die sie für ihre geliebten Rinder brauchten.
    Es widerstrebte den Massai, vom Althergebrachten abzuweichen. Die Bräuche aus Maasintas Zeiten hatten dazu geführt, dass sie an Kraft und Wohlstand gewannen, also hielten sie es nicht für nötig, einen offiziellen Herrscher zu haben. Die Krieger oder
Moran
hatten die Anführer ihrer Altersgruppe, um Feldzüge zu koordinieren. Die Ältesten lieferten Weisheit und moralische Führung, während einige besondere Personen,
Laibon
genannt, für spirituelle Anleitung sorgten. Ein solch besonders begabter Mann war Mbatian ole Sopet. Sein Ruf als Medizinmann und Prophet verschaffte ihm den Titel des
Großen Laibon.
Er lebte zur Zeit der Morgendämmerung des weißen Mannes in Zentralafrika, zu einer Zeit, als sich die Massai vielleicht auf dem Höhepunkt ihrer Furcht erregenden Kraft befanden. Aber Mbatian wurde von schrecklichen Visionen gequält. Er rief die Massaiältesten zusammen und sagte zu ihnen: »Ich werde bald sterben. Ich sehe ein großes schwarzes Rhinozeros, das eine Schneise durchs Land bricht. Auf seinem Rücken sitzen rosa Menschen. Ich sehe das Ende meiner Kinder und das des Landes. Verlasst
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