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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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gehegt? Hatte er sie geliebt?
    Melisande trat neben ihn, beugte sich vor und küsste seine erkaltete Stirn. »Lebt wohl, Ritter, möge der Herrgott das Gute sehen, das Ihr zweifelsohne getan habt, und Euch gnädig bei sich aufnehmen.«
    Sie spürte, wie Tränen in ihr aufstiegen. Hastig wandte sie sich ab und stürzte auf die Tür zu, hinter der ihre Familie sie erwartete. Vor der Kapelle blieb sie überrascht stehen.
    Fremde Soldaten ritten auf den Burghof; sie trugen das Banner von Württemberg. Soldaten von Graf Ulrich! Was machten sie hier?
    Melisande sah sich suchend um. Auch die Wachen wirkten verunsichert, warteten offensichtlich auf Befehle ihres neuen Herrn. Der hob die Hand, um zu zeigen, dass kein Eingreifen nötig war.
    Ulrichs Soldaten bildeten eine Gasse. Schließlich ritt ein einzelner Mann auf den Hof, der mit einem prächtigen roten Umhang bekleidet war. Melisande erkannte ihn sofort: Es war Graf Ulrich persönlich. Kam er ihretwegen? Wollte er die vermeintliche Kindsentführerin festsetzen? Oder wusste er von Othilias Machenschaften und wollte ihren Racheplänen Einhalt gebieten? Nein, davon konnte er nichts wissen. Vermutlich war es lediglich ein Zufall, dass er ausgerechnet jetzt die Adlerburg besuchte.
    Der Graf saß ab, und ein Mann in Priestergewändern, der sich unter seinem Gefolge befand, gesellte sich zu ihm.
    Nicklas trat vor und verneigte sich tief. »Seid willkommen, Graf Ulrich. Und auch Ihr, geschätzter Alberto Fussili. Es ist mir eine besondere Freude, Euch so bald schon wieder hier zu empfangen.«
    Der Graf verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
    »Nicklas, Herr, Sohn des Ottmar de Bruce.«
    »Sohn des Ottmar de Bruce?«, rief Ulrich erstaunt. »Ich dachte, der eine sei tot und der andere liege noch in Windeln?«
    Der Priester beugte sich vor und flüsterte dem Landesherrn etwas ins Ohr. Der nickte und wandte sich wieder an Nicklas. »Nun gut. Ich bin gekommen, um deine Herrin in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen. Bitte führ mich zu ihr!«
    Nicklas verneigte sich erneut. »So müsst Ihr mir in die Kapelle folgen, wo sie aufgebahrt liegt, Herr.«
    »Aufgebahrt? Othilia ist tot?« Entsetzt ließ Ulrich seinen Blick schweifen. »Ist das wahr? Was ist geschehen? Bei Gott, nimmt das denn kein Ende?« Sein Blick fiel auf Melisande, Wendel und Gertrud, und er verzog argwöhnisch das Gesicht. »Hat es etwas mit dieser Kindesentführung zu tun?«
    »Ihr wisst davon?« Nicklas starrte ihn überrascht an.
    Ulrich verzog das Gesicht. »Ich wäre ein schlechter Landesfürst, wenn ich nicht darüber im Bilde wäre, was in Württemberg vor sich geht.« Er tauschte einen raschen Blick mit dem Geistlichen.
    »Fussili? Ihr …?«, fragte Nicklas überrascht.
    Ulrich klopfte Alberto Fussili auf die Schulter. »Ich kann nicht überall sein, doch ich habe überall meine Augen und Ohren.« Er wandte sich ab und sah Wendel an. »Dann seid Ihr Meister Füger, der Weinhändler aus Reutlingen, der inzwischen in Rottweil lebt?«
    Wendel trat vor und verneigte sich. »Ja, Herr, der bin ich.«
    Ulrich legte die Fingerspitzen aneinander. »Mich dünkt, wir beide haben noch ein Hühnchen zu rupfen.« Ein kurzes Lächeln flog über Ulrichs Gesicht, das sofort einer todernsten Miene Platz machte.
    Wendel senkte den Kopf noch tiefer.
    »Ich habe den Brief geschrieben.« Melisande trat vor.
    Ulrich fuhr herum. »Weib, was redet Ihr da? Noch dazu ungefragt! Wer seid Ihr überhaupt?«
    Melisande beugte das Knie. »Wendel Fügers Gemahlin. Melisande Wilhelmis, Tochter des Konrad Wilhelmis, der von Ottmar de Bruce in einem feigen Hinterhalt ermordet wurde.«
    Ulrich sah sie lange schweigend an. »Ja, ich glaube, mich an den Vorfall zu erinnern. Ich schätze, die Geschichte, die Ihr mir zu erzählen habt, nimmt etwas Zeit in Anspruch. Und sie ist wohl eher nicht für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt. Lasst uns also hineingehen.« Er wandte sich an den Schmied. »Nicklas, Sohn des Ottmar de Bruce, dürfen wir auf deine Gastfreundschaft zählen?«
    »Selbstverständlich, Graf. Es ist mir eine Ehre.«
    Ulrich lächelte zufrieden und ging, wie es seinem Rang entsprach, voran.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag betraten sie den Palas und setzten sich an die Tafel im großen Saal, wo Nicklas Speisen und Wein auftragen ließ. Nachdem Ulrich von beidem gekostet hatte, forderte er alle bis auf Wendel und Melisande auf, den Saal zu verlassen, auch Nicklas, der sich ohne
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