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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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zu spät. Von Säckingen warf sich gegen das Holz, das krachend zerbarst und stürzte gemeinsam mit der Gräfin in die Tiefe. Einen Wimpernschlag später schlugen sie dumpf im Hof auf. Melisande warf einen Blick über die Mauer und sah die Gräfin und den Ritter ineinander verschlungen in ihrem Blut liegen.
    Einen Moment verharrte Melisande entsetzt. »Gott sei ihren Seelen gnädig«, murmelte sie, dann drangen Wendels Schreie in ihr Bewusstsein. Sie fuhr herum, hob Othilias Schwert vom Boden auf und rammte es dem Mann in den Rücken, der auf Wendel eindrang. Röchelnd sank er zu Boden.
***
    Wendel ließ das Schwert sinken, sein Arm zitterte vor Anstrengung, sein Gewand war blutgetränkt. Melisande trat auf ihn zu, auch ihr Kleid trug die Spuren des mörderischen Kampfes, ebenso wie ihr Gesicht, das mit Othilias Blut bespritzt war. Doch ihre Augen leuchteten. Sie hatten gesiegt, sie waren frei. Wendel legte den Arm um sie, zog seine Frau und seine Tochter an sich. Tränen der Erleichterung brannten in seinen Augen. Sie hatten es geschafft. Sie lebten.
    Aber der Siegestaumel währte nur kurz. Eilige Schritte und laute Befehle drangen von der Treppe an sein Ohr. Verstärkung!
    »Es ist noch nicht zu Ende«, raunte Melisande ihm zu. Sie machte sich los und hob ein Schwert auf. Wendel setzte Gertrud auf dem Boden ab und stellte sich schützend vor sie. Die Magd, die bisher wimmernd vor der Mauer gehockt hatte, sprang auf, lächelte Wendel schüchtern an, nahm Gertrud bei der Hand und führte sie in eine sichere Ecke. Wendel nickte ihr dankbar zu, dann hob auch er erneut die Waffe.
    Ritter stürmten auf die Plattform, blickten sich suchend um, zögerten angesichts des Blutbades, stürzten sich dann jedoch auf Melisande und Wendel. Den ersten wehrte Wendel ab. Gleichzeitig entzog sich Melisande mit einer geschickten Drehung einem tödlichen Hieb und streckte ihren Gegner nieder.
    Die Männer hielten erschrocken inne. Offenbar war ihnen soeben bewusst geworden, dass die beiden für das Blutbad auf dem Turm verantwortlich waren. Dass Eberhard von Säckingen ihnen geholfen hatte, konnten sie nicht ahnen, ebenso wenig, dass der Ritter sich mit Othilia in den Tod gestürzt hatte.
    Weitere Soldaten drängten auf die Plattform, doch keiner von ihnen wagte es, Wendel und Melisande anzugreifen.
    Wendel hielt weiter mit beiden Händen das Schwert erhoben. Lange würde die Verschnaufpause nicht währen.
    Schon ertönte ein Befehl. »Bringt Armbrüste, damit wir die Bastarde abschießen können! Wir halten sie so lange in Schach.«
    Wendel nahm das Schwert in eine Hand. »Komm!« Er nahm Melisande in den Arm, ohne die Männer aus den Augen zu lassen. »Sie werden Gertrud am Leben lassen, jetzt, wo die Gräfin tot ist. Sie werden sich nicht an einem unschuldigen Kind versündigen. Immerhin das haben wir erreicht.«
    Bewegung kam in die Soldaten, einige Armbrustschützen traten vor. Gegen diese mörderischen Waffen gab es keine Verteidigung.
    Wendel trat einen Schritt zur Seite und deutete auf Gertrud. »Ihr seid ehrenhafte Männer!«, rief er. »Dies ist ein unschuldiges Kind. Nehmt es, und lasst es zu meinen Eltern nach Reutlingen bringen. Sie werden Euch für Eure Großherzigkeit reich belohnen.«
    Der Hauptmann war vorgetreten und hob die Hand, um seine Männer zurückzuhalten. »Dieses Kind ist nicht unschuldig«, stieß er mit zusammengekniffenen Augen hervor. »Es ist eine Teufelsbrut und muss vernichtet werden. Niemand soll übrig bleiben, die ganze Sippe soll zur Hölle fahren!«
    Die Schützen legten an.
    Wendel legte sein Schwert nieder, trat zu der Magd, der das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Mit einem Lächeln nahm er Gertrud auf den Arm, dann stellte er sich wieder neben Melisande und zog sie fest an sich. Er konnte die Tränen nicht zurückhalten. Er hatte versagt, hatte nicht nur sein eigenes Leben verwirkt, sondern auch das seiner Frau und seiner Tochter. Er küsste Melisande auf die Stirn und flüsterte: »Verzeih, Liebste, dass ich euch nicht beschützen konnte.«
    Sie sah ihn an. »Verzeih, dass ich dir nicht von Anfang an die Wahrheit erzählt habe.«
    Sie hielten einander fest, schlossen die Augen und erwarteten die tödliche Salve. Wendel hörte die Bolzen einrasten. Jetzt, dachte er, jetzt …
    »Einhalten! Sofort einhalten!« Die Stimme eines jungen Mannes schnitt durch die Luft.
    Wendel riss die Augen auf. Der Hauptmann rührte sich nicht, die Schützen behielten die Waffen im Anschlag.
    »Waffen
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