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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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Adlerburg!«
    Wendel konnte es kaum glauben. Er tauschte einen Blick mit Melisande, die ebenfalls ungläubig dreinschaute. Gertrud hielt sich die Ohren zu und presste sich an seine Brust. Die lauten Jubelschreie schienen sie mehr zu erschrecken als der Anblick der gespannten Armbrüste. Beruhigend strich er ihr über das Haar.
    Nicklas hob die Hände, und sofort kehrte Ruhe ein. Er wandte sich dem Hauptmann zu. »Sorgt dafür, dass die Gräfin Othilia und der Ritter Eberhard von Säckingen ihrem Stand angemessen in der Kapelle aufgebahrt werden. Und schickt die Männer zurück auf ihre Posten.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, bedeutete er Wendel und Melisande, ihm zu folgen. »Bitte seid meine Gäste!«
    Die Ritter wichen zur Seite, niemand wagte es, die Waffe gegen sie zu erheben. Wendels Beine zitterten, er spürte, dass Melisande ebenfalls am Ende ihrer Kräfte war, aber sie ließen es sich nicht nehmen, aus eigener Kraft den Schauplatz ihres furchtbarsten Albtraums zu verlassen. Nicklas führte sie die Treppe hinunter und über den Hof in den Palas. Noch immer benommen von der plötzlichen Wendung der Ereignisse, folgten sie ihm in einen großen Saal. Diener brachten Schüsseln mit Wasser zum Waschen, nahmen die besudelten Kleider und tauschten sie gegen saubere, reichten Erfrischungen. Eine heilkundige Magd verband Wendels Schulterverletzung.
    Als sie sich gereinigt und gestärkt hatten, nahmen sie Platz. Melisande hob Gertrud auf ihren Schoß und fütterte sie mit Trauben. Der junge Burgherr, Nicklas, schenkte Wein ein. Jetzt bemerkte Wendel auch die äußerliche Ähnlichkeit mit Ottmar de Bruce, die dunklen Haare, die schmalen Lippen, das kantige Gesicht. Nur seine Augen waren anders, sie strahlten nicht diese gnadenlose Kälte aus, sondern Güte und Verständnis. Wenn er der neue Herr der Adlerburg war, würden hier andere Zeiten anbrechen.
    Nicklas setzte ein warmes Lächeln auf. »Ihr dürft meine Gastfreundschaft so lange in Anspruch nehmen, wie Ihr wollt, Meister Füger.« Er nahm einen Schluck Wein.
    Wendel neigte das Haupt. Er konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war. »Verehrter Graf. Wir verdanken Euch unser Leben«, sagte er. »Glaubt mir, das werden wir unseren Lebtag nicht vergessen. Aber wenn es Euch recht ist, würden wir gern so schnell wie möglich aufbrechen. Wir haben Familie und Freunde in Rottweil, die um unser Schicksal bangen.«
    Nicklas grinste wie ein Bub. »Ich bin kein Graf, Meister Füger, nur ein einfacher Schmied. Auch wenn in meinen Adern das Blut von Ottmar de Bruce fließt.«
    Wendel hob die Augenbrauen. »Aber Ihr besitzt den Mut eines Edelmannes.«
    Der junge Mann seufzte. »Bei Gott, Ihr ebenso.« Er erhob sich. »Wenn es so eilt, möchte ich Euch nicht länger aufhalten. Ich werde Euch Pferde zur Verfügung stellen und eine Leibwache, die Euch sicher nach Rottweil bringt.« Er sah fragend zu Melisande. »Auch einen Wagen, wenn Ihr wollt.«
    »Zwei Pferde sind alles, was wir brauchen, Herr«, sagte Melisande. »Habt Dank.«
    »Nun, so soll es sein.«
    Wendel konnte nicht anders. Er ergriff die Hände des Schmieds und blickte ihm in die klaren Augen. »Wir stehen auf ewig in Eurer Schuld. Und wenn Ihr jemals unsere Hilfe braucht – werden wir da sein.«
***
    Melisande lief auf die Kapelle zu. Sie hatte Wendel gebeten, einen Augenblick zu warten, denn es gab noch jemanden, von dem sie Abschied nehmen musste. Im Inneren war es dämmrig und still. Wie der neue Burgherr befohlen hatte, lagen Othilia und von Säckingen aufgebahrt vor dem Altar. Ihre Wunden waren gesäubert, sie waren in weißes Leinen gehüllt, und ihre Gesichter wirkten friedlich. Melisande trat näher und kniete nieder.
    »Herr im Himmel, du bist voller Gnade. So vergib diesen beiden verlorenen Seelen und nimm sie bei dir auf«, sagte sie leise.
    Sie erhob sich und betrachtete die leblosen bleichen Gesichter. Von Othilia fiel es ihr nicht schwer, den Blick zu lösen. Doch an Eberhard von Säckingens Antlitz blieben ihre Augen hängen. Was für ein ungewöhnlicher Mann er gewesen war! Er hatte de Bruce geholfen, ihre Familie abzuschlachten, hatte womöglich selbst den tödlichen Schlag gegen ihren Vater geführt. Dennoch war er kein durch und durch schlechter Mensch gewesen. Am Ende hatte er sein Leben gegeben, um das ihre zu retten. Sie dachte an seine letzten Worte, die sie nicht hatte hören, aber von seinem Mund ablesen können. Lebt wohl, Mechthild. Hatte dieser Ritter tatsächlich Gefühle für sie
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