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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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Widerspruch zurückzog.
    »So, Melisande Wilhelmis, nun lasst mich wissen, was damals geschehen ist, als Eure Familie durch einen Hinterhalt ums Leben kam, was heute hier auf der Adlerburg vorgefallen ist und zum Tod der Gräfin führte – und was das alles mit einem gewissen Brief zu tun hat, den ich vor etwa zwei Jahren erhielt.« Der Landesfürst sah Melisande prüfend an.
    Melisande seufzte. Keinesfalls durfte der Graf die ganze Wahrheit erfahren, aber sie musste ihm genug erzählen, um ihn zufriedenzustellen und ihn zugleich gütig zu stimmen. Nur so würden sie mit heiler Haut davonkommen. »Ihr wisst, dass die Familie Wilhelmis seit vielen Generationen im Streit lag mit der Familie de Bruce«, begann sie nach kurzem Zögern. »Eines Tages erschlug mein Vater Konrad Wilhelmis, ein braver, gottesfürchtiger Kaufmann, den Sohn des Ottmar de Bruce in Notwehr, und der Graf beschloss, Rache zu nehmen …«
    Als Melisande geendet hatte, rieb sich Ulrich nachdenklich das Kinn. »Ihr zwei habt Euch mehrerer schwerer Vergehen schuldig gemacht, Melisande Wilhelmis und Wendel Füger«, sagte er schließlich. »Ihr habt eine Fälschung angefertigt und damit den Herrscher von Württemberg getäuscht. Ihr habt fast eine Stadt niedergebrannt, indem Ihr leichtfertig ein Feuer im Kerker gelegt habt. Ihr habt Euch gegen Recht und Ordnung aufgelehnt und so viele Gesetze gebrochen, dass ich einen halben Tag bräuchte, sie aufzuzählen! Dafür müsst Ihr mit dem Tod bestraft werden. Ist Euch das klar?«
    Melisande schluckte hart. Hatte sie sich so in Graf Ulrich getäuscht?
    Der Graf lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen zusammen. »Auf der anderen Seite ist Euch schweres Unrecht widerfahren, das ebenfalls gesühnt werden muss. Ich muss also ein gerechtes Urteil fällen.« Er griff in seinen Umhang, zog eine Münze hervor, warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. Er warf einen Blick darauf und grinste schelmisch. »Heute steht das Glück auf Eurer Seite. Hört mein Urteil, das keinerlei Einwand duldet: ›Da Ihr beide schon einmal die Torturen der peinlichen Befragung durchgestanden und dem Tod mehrfach ins Auge geschaut habt und da das Unrecht, das Ihr begangen habt, und das Unrecht, das Euch widerfahren ist, einander aufheben, will ich Eure Taten als gesühnt ansehen. Ebenso wie die Taten derer, die gegen Euch handelten.‹« Er nahm einen kleinen Schluck Wein. »Ihr seid frei und sollt auf allen Wegen in Württemberg unter meinem Schutz stehen. Doch nur unter einer Bedingung.« Sein Gesicht wurde hart, er senkte seine Stimme zu einem drohenden Grollen. »Solltet Ihr irgendwem von diesem unsäglichen Brief erzählen oder von den übrigen Angelegenheiten, die wir soeben besprochen haben, dann werde ich nicht ruhen, bis Ihr tot seid und Eure gesamte Sippe mit Euch. Dann werde ich Euch mit Stumpf und Stiel ausrotten! Und glaubt mir: Ich bin nicht so ein Anfänger wie Othilia von Hohenfels. Habt Ihr das verstanden?«
    Melisande sah Schweißperlen auf Wendels Stirn, er setzte an, etwas zu sagen, aber sie kam ihm zuvor. »Habt Dank, edler Graf.« Sie hob ihre Schwurhand. »Ich schwöre beim Leben meiner kleinen Tochter, dass ich über das, was in diesem Raum besprochen wurde, schweigen werde bis ans Ende meiner Tage.«
    Wendel hob ebenfalls seine Schwurhand. »Auch ich schwöre, dass kein einziges Wort über diese Angelegenheiten je meinen Mund verlassen wird.« Wendel verneigte sich. »Ihr seid zu gütig, Herr.«
    Der Graf nickte zufrieden, seine Stimme nahm wieder ihren warmen Ton an. »Genug der Schwüre und des Dankes. Ihr habt noch eine weite Reise vor Euch.« Er erhob sich. »Nicklas, Sohn des Ottmar de Bruce!«
    Der Schmied erschien wieder im Saal und verneigte sich.
    »Hast du Gemächer, die du deinem Landesfürst für die Nacht anbieten kannst? Ich gedenke, bis morgen zu bleiben, schließlich muss geregelt werden, wer das Lehen verwalten soll, bis der legitime Erbe alt genug ist, es zu übernehmen.«
    »Selbstverständlich, Herr.« Nicklas erteilte Befehle, dann geleiteten er und der Graf Melisande und Wendel nach draußen.
    Wenig später ritten sie hinter der gräflichen Eskorte bei Aichaha durch die Neckarfurt. Die Sonne stand bereits tief. Melisande schaute zu Wendel und Gertrud. Wendel lächelte sie an. Gertrud lehnte am Bauch ihres Vaters, sie hatte den Daumen in den Mund gesteckt und war eingeschlafen. Meine Familie, dachte Melisande, was wäre ich nur ohne meine Familie?

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