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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
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verfestigte, sobald es mit Körperflüssigkeit in Berührung kam. Danach stopfte sie große Wattestücke hinterher, um zu verhindern, dass später noch Flüssigkeit auslief.
    Als sie das Bein der Leiche anhob, um die unteren Körperöffnungen zu behandeln, drang geräuschvoll Luft aus dem Unterleib der Frau.
    »Hoppla, Frau Sonders! Das war wohl ein letzter Gruß an die Nachwelt. Besser, es passiert hier statt während der Trauerfeier vor dem offenen Sarg. Wir wollen ja niemandem einen Schrecken einjagen!«
    Zoe tätschelte die kalte Schulter und zog sich vorsorglich einen Mundschutz an. Der übel riechende Gasaustrieb war erfahrungsgemäß erst der Anfang. Unter Umständen konnte sich der Darm wesentlich stärker aufblähen, so dass sich unter dem Gewebedruck die Arme und Beine abspreizten. Für eine Trauergemeinde wäre der Anblick einer sich bewegenden Leiche nicht minder schockierend wie das plötzliche Öffnen der Augen. Ein solches Bild bekämen sie nicht wieder aus ihren Köpfen.
    Zoe untersuchte die Bauchdecke der Leiche erneut. An der rechten unteren Seite zeigte eine graugrünliche Verfärbung der Haut deutliche Anzeichen für die beginnende Fäulnis. Die Schräglage im Aufzug hatte diesen Prozess verlangsamt. Nun waren die Därme an ihren Platz zurückgerutscht, wodurch sich eine Fäulnisblase gebildet hatte. Das kam in diesem frühen Stadium bei entsprechender Kühlung nicht häufig vor. Nachdenklich tippte Zoe mit dem Finger auf den metallenen Rand des Sektionstisches.
    Bei fortgeschrittener Zersetzung würde der Fäulnisprozess in den Blutgefäßen die oberflächliche Venenstruktur wie ein feines schmutzig grünes Netz sichtbar machen, das der Leichenhaut ihren typischen Teint bescherte. Dieses Durchschlagen des Venennetzes dürfte reichlich Inspiration für die Macher von Zombiefilmen geliefert haben. Zoe musste gestehen, dass die Maskenbildner in manchen Werken vorbildliche Arbeit geleistet hatten. Ihren Freund Josh hingegen hätte der Anblick sicherlich zu einem Vortrag über roten Blutfarbstoff, der sich in Verbindung mit Schwefelwasserstoff zu Sulfhämoglobin wandelt, hingerissen. Einen Moment bedauerte Zoe, dass Josh diese interessanten Anzeichen nicht mitbekam.
    Vorsichtig tastete sie über den gewölbten Unterbauch, wohl wissend, dass dieses tückische Ding beim geringsten Druck platzen konnte. Auf die Sauerei, die dadurch im Labor entstehen würde, konnte sie wirklich verzichten. Fäulnisblasen konnten monströse Größen erreichen, wobei sie keinem bestimmbaren zeitlichen Ablauf unterlagen. Fäulnis und Verwesung glichen sich nur auf den ersten Blick, doch es handelte sich um zwei parallel ablaufende Prozesse. Am deutlichsten ließ sich der Unterschied am Geruch ausmachen: Fäulnis stank, Verwesung nicht.
    Zoe hatte erst wenige Leichen auf dem Tisch gehabt, die aufgrund der Fäulnisgasbildung bis zur Unkenntlichkeit aufgetrieben waren, weil sie erst Tage nach Todeseintritt gefunden worden waren. Später auftretende Phänomene wie der Austritt von rötlich brauner Flüssigkeit aus Mund und Augen boten keinen appetitlichen Anblick und verzögerten die kosmetische Wiederherstellung der Toten erheblich.
    So weit sollte es bei Frau Sonders nicht kommen. Die grüne Verfärbung der Haut war nicht weit ausgebreitet, sondern belief sich auf einen kleinen Bereich am Unterbauch. Dennoch musste Zoe Flüssigkeit aus der Fäulnisblase und Urin abnehmen, um ausschließen zu können, dass es sich nicht um Anzeichen einer Barbituratvergiftung handelte. Zwar konnte sie sich nicht vorstellen, dass die alte Dame Selbstmord begangen hatte, doch es gehörte nun einmal zu ihrer Pflicht, sobald sie verdächtige Anzeichen am Körper einer Leiche entdeckte.
    Nachdem sie die beiden Spritzen vollgezogen hatte, packte sie sie in einen hygienischen Plastikbeutel, um sie am nächsten Tag in die Pathologie nach Mainz zu schicken.
    Mit möglichst großem Abstand stellte Zoe sich seitlich neben die Leiche und drückte mit übereinandergelegten Händen auf die Wölbung am Bauch, wie man es weiter oben bei einer Herzmassage machen würde. Das Gas trieb augenblicklich mit einem lauten Geräusch aus. Die Leiche erzitterte. Dunkelviolette Fäulnisflüssigkeit ergoss sich zwischen den Beinen und lief in den Ablauf des Beckens. Ein stechend muffiger Geruch erfüllte den Raum. Nicht einmal der Mundschutz konnte ihn abhalten. Zwar war Zoe gegen üble Gerüche weitgehend gefeit, doch mit Mentholsalbe unter der Nase war es dennoch
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