Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
Vom Netzwerk:
Bestatterin nachzugehen. Ihr pathologisches Interesse hätte sie lieber mit einem entsprechenden Studium befriedigt und wäre Forensikerin im gerichtsmedizinischen Institut geworden wie einst ihr Vater.
    Doch letztlich stellte die Arbeit mit den Toten ohnehin ihre Berufung dar, da machte es keinen großen Unterschied, auf welchem Gebiet sie tätig war. So war es für Zoe selbstverständlich gewesen, ihrem Großvater dabei zu helfen, den Leichnam ihres Vaters zu versorgen. Dabei merkte sie schnell, wie tröstend es war, einem nahen Angehörigen den letzten Dienst zu erweisen. Der Schmerz über den Verlust wich schnell einer intensiven Konzentration. Sie stellte sich überraschend geschickt bei der Arbeit an und ging in einem Gefühl tiefster Zufriedenheit auf. Das war auch ihrem Großvater nicht entgangen und hatte ihn schließlich dazu bewogen, sie in den darauffolgenden Jahren immer mehr in das Handwerk einzuweisen. Besser hätte Zoe es vermutlich nicht treffen können, denn die Ausbildung war ebenso anstrengend wie lehrreich. Ihr Großvater stellte höchste Anforderungen an sie, verlangte ihre gesamte Aufmerksamkeit. Feierabend oder Wochenenden existierten in seiner Vorstellung nicht. Gestorben wird immer, Tote kennen keinen Urlaub. So lautete seine Devise.
    Das Geschäft war nach Großvaters Tod direkt an Zoe gefallen, weil ihre Mutter sich seit dem Tod von Zoes Vater weigerte, auch nur einen Fuß in das Labor zu setzen. Stattdessen zog Isobel es vor, sich den Kundengesprächen im Laden und der geistlichen Betreuung von Hinterbliebenen zu widmen. Darin ging sie vollkommen auf, hatte sich sogar zu einer wahren Predigerin entwickelt und ihr missionarisches Tun auf die kleine Kapelle in der Nähe des Hauses ausgeweitet. Vermutlich ersetzte sie damit die Psychotherapie, die ihr möglicherweise dabei hätte helfen können, über den Tod ihres Mannes hinwegzukommen. Letztlich konnte Zoes Mutter es kaum erwarten, ihre treuhänderische Verpflichtung am Tag von Zoes Volljährigkeit abzutreten. Das war vor einem Jahr gewesen, die Arbeit hingegen war von vornherein an Zoe hängen geblieben, und sie konnte nicht gerade behaupten, dass sie es bedauerte.
    Sie griff nach der Dusche am Ende des Tisches und besprenkelte die Leiche mit kaltem Wasser. Warmes Wasser würde Bakterien fördern. Frau Sonders machte die Temperatur nichts mehr aus. Mit einem Naturschwamm tupfte sie, vom Gesicht ausgehend, den ganzen Körper ab. Obwohl sie dabei äußerst behutsam vorging, schälte sich die pergamentartige Haut an einigen Stellen ab, so dass Zoe diese mit fetthaltiger Creme wieder an ihren Platz drücken musste. Danach schäumte sie die feinen silbrigen Haare mit etwas Shampoo ein und spülte sie gründlich aus. Kurz darauf tönte der Föhn summend durch das Labor, während Zoe mit einer Bürste versuchte, Frau Sonders' Frisur so hinzubekommen, wie diese sich vielleicht selbst frisiert hatte. Mit gespitzten Lippen legte sie Welle für Welle, bis ein silbriges Meer den Kopf der Toten zierte. Fast lebendig wirkte das glänzende Haar. Zoe lächelte. An diesem Punkt ihrer Arbeit war sie damals von der bewährten Behandlung abgewichen. Sie erinnerte sich an Großvaters amüsierten Blick, als sie sich eingehend mit der Frisur einer Toten beschäftigt hatte. Mit gerunzelter Stirn hatte er ihre anfänglich etwas seltsam anmutenden Ideen zur Kenntnis genommen, die immer weiter über den gewöhnlichen Ablauf der Totenversorgung hinausgingen. Denn es war nicht beim Frisieren geblieben. Zoe hatte irgendwann beschlossen, ihre Leichen zu schminken, um sie möglichst so aussehen zu lassen, wie ihre Familien sie in Erinnerung hatten.
    Auch Frau Sonders sollte ein entsprechendes Make-up erhalten, doch vorher galt es, die Grundbehandlung abzuschließen. Mit schwungvollen Bewegungen trocknete sie den Körper und den Sektionstisch samt der gelochten Metallkassetten, die dafür sorgten, dass Wasser und Körperflüssigkeiten abliefen. Eine anspruchslose, aber notwendige Tätigkeit, bei der Zoe sich ablenkte, indem sie leise vor sich hin summte. Dennoch war sie jedes Mal erleichtert, wenn sie damit fertig war.
    »So, nun wenden wir uns wieder Ihnen zu«, sagte Zoe und drückte eine walnussgroße Kugel einer speziellen Massagecreme auf ihre Handfläche.
    Mit der feuchtigkeitsregulierenden Mousse massierte sie eingehend den Körper, um die Leichenstarre zu lösen. Sie spürte, wie die Haut unter ihren Händen nachgiebiger wurde – wie trockenes Leder bei einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher