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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
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Behandlung mit Öl. Zoe sog den angenehmen Duft der Creme ein. Es hatte beinahe etwas Meditatives, fast, als wäre eine Massage nicht für den Patienten, sondern für den Masseur entspannend. Ihre eigene Körperwärme ging durch die behutsame Reibung auf die Haut der Toten über. Das würde nicht lange anhalten, doch für den Moment unterschied es sich kaum von dem Gefühl, als würde sie ihrer Mutter den steifen Nacken massieren.
    Ein lautes Knacken riss sie aus ihren Gedanken.
    »Zoe, wir müssen noch die Trauerrede durchgehen.« Die Stimme ihrer Mutter drang abgehackt durch den Lautsprecher neben der Tür.
    Das letzte Wort konnte Zoe nur sinngemäß ergänzen, weil sie es nicht mehr gehört hatte. Isobel pflegte, das in ihren Augen unliebsame technische Gerät gerade einmal mit ihren Fingerspitzen zu berühren, als ob es zu explodieren drohte. Das hatte zur Folge, dass jede ihrer Mitteilungen in einem knackenden Geräusch unterging.
    Zoe verdrehte die Augen, wandte sich um und betätigte mit dem Ellbogen den Knopf. »Ich habe noch zu tun und komme, sobald ich fertig bin.«
    Schweigen bedeutete Zustimmung, um nicht zu sagen, Kapitulation. Sobald Zoe wieder in ihre Arbeit vertieft war, würde sie ohnehin vergessen, dass sie gerufen worden war. Wie üblich ersparte ihre Mutter es sich, die Gegensprechanlage erneut zu bedienen. Dabei hatte Zoe sie extra einbauen lassen, damit Isobel sie jederzeit erreichen konnte, wenn etwas Wichtiges anstand. Leider lagen die Prioritäten ihrer Mutter etwas anders, was für Zoe in der Vergangenheit mit ständigen Unterbrechungen wegen irgendwelcher Nichtigkeiten einhergegangen war. Jedes Mal hinaufzulaufen, um einen Rat für die Farbe der neuen Vorhänge im Aufbahrungssalon zu erteilen oder sonstige Entscheidungen zu treffen, für die ihre Meinung irrelevant war, nervte Zoe mit der Zeit zunehmend, so dass sie sich gezwungen sah, eine sinnvolle Lösung zu finden. Dem pikierten Gesichtsausdruck ihrer Mutter zum Trotz hielt Zoe die Gegensprechanlage für äußerst effektiv. Seither hatte sie weitgehend ihre Ruhe.
    Außerdem brauchte ihre Mutter ihre Hilfe nicht, um Trauerreden zu besprechen. In biblischen Angelegenheiten war sie die Fachfrau. Sie betrachtete den Tod von einer religiösen Ebene mit durchaus etwas verklärten Zügen. Vor den unangenehmen, aber notwendigen Aufgaben, die der Tod nun einmal mit sich brachte, verschloss sie gern die Augen. Sie erinnerte Zoe an jemanden, der Fleischgerichte liebte, aber keinen Blick in den Schlachthof werfen wollte. Sie fragte sich manchmal, wie es möglich war, dass ihre Eltern zueinandergefunden hatten. Denn von ihrem Vater hatte Zoe anscheinend eine eher pragmatische Betrachtungsweise im Umgang mit dem Tod übernommen. Möglicherweise hatte sich seine Sichtweise mit der Religiosität ihrer Mutter ergänzt, sonst wären sie nicht all die Jahre verheiratet gewesen.
    Für ein gutes Mutter-Tochter-Verhältnis schien diese Religiosität jedoch nicht immer förderlich zu sein. Im Geschäft war beides von Bedeutung, da zählte Einfühlungsvermögen ebenso wie Professionalität. Es war in Ordnung, wenn jeder seinen Job tat, so gut er konnte, ohne sich in die Arbeit des anderen einzumischen. Doch Zoes Mutter sah sich anscheinend verpflichtet, ihrer Tochter einen angemessenen geistlichen Beistand zuteilwerden zu lassen. Seit dem Vorfall vor drei Jahren hatte sich diese mütterliche Fürsorge noch verstärkt. Offenbar bestand die dringende Notwendigkeit, Zoe zu missionieren, um sie vor der Sünde zu bewahren. Völliger Quatsch. Was war schon sündig?
    Beinahe hatte ihr die Polizeipsychologin leidgetan, als diese sich damals unweigerlich gezwungen sah, ihre Aufmerksamkeit dem erschütterten Gemütszustand von Zoes Mutter zu widmen. Von traumatischer Persönlichkeitsstörung war die Rede gewesen, mehr beiläufig wie ein ausgesprochener Gedanke. Zoe wusste nicht, wen die Psychologin damit gemeint hatte: ihre Mutter oder sie. Wahrscheinlich beide. Zoe hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst ihren inneren Scherbenhaufen zusammen- und im tiefsten Winkel ihres Unterbewusstseins unter den Teppich gekehrt. Für die in Trümmer geschlagenen Mädchenträume gab es ebenso wenig Vergeltung wie für den Mord an einer Seele.
    Zoe stieß einen missmutigen Ton aus und wandte sich kopfschüttelnd dem Sektionstisch zu.
    Behutsam streute sie ein feuchtigkeitsbindendes Pulver in den Rachen und die Nasengänge von Frau Sonders, wo es sich zu einer silikonartigen Masse
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