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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske
Autoren: Helene Henke
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Trost.

    Auf der Rückfahrt im Auto brütete Zoe gedankenverloren vor sich hin, während die Landschaft an ihr vorüberzog. Hügel wechselten mit Weiden und Wälder mit freiem Feld, während die Abendsonne die Landschaft in einen goldenen Schein tauchte. Hinter Zoes geschlossenen Lidern flimmerte der Wechsel von Sonnenlicht und Schatten. Erst als es eine Weile dunkel blieb, öffnete sie die Augen. Sie befanden sich auf der Landstraße nahe der Plattform, die bis vor kurzem als Tatort galt.
    »Halt bitte mal an, ja?«
    Leon blickte mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr herüber, tat aber wie geheißen. Das liebte Zoe besonders an ihm. Er stellte keine Fragen, zu denen ihr ohnehin keine vernünftige Antwort eingefallen wäre. In den letzten Wochen hatten sie viel Zeit miteinander verbracht. Er half ihr dabei, ihr Leben neu zu ordnen. Zoe genoss seine Nähe, seine Berührungen und sein Lachen. Doch beide spürten sie, dass eine Entscheidung bevorstand. Leon konnte nicht auf Dauer von Mainz nach Birkheim pendeln. Sobald ihm ein neuer Fall zugeteilt werden würde, bekämen sie sich kaum noch zu sehen.
    Mit einem dankbaren Nicken verließ Zoe den Wagen und stieg zur Anhöhe hinauf. Der Sandboden wies noch regelmäßig verlaufende Furchen von Gartenharken auf und wirkte unberührt wie frisch gefallener Schnee. Wildwucherndes Gestrüpp war von fleißigen Händen im Auftrag des Grünflächenamtes ordentlich gestutzt worden. Blumensträuße, kleine Holzkreuze und Dinge, die an die toten jungen Männer erinnerten, machten aus dem einstigen Treffpunkt eine Gedenkstätte. Nichts war mehr vom vergangenen Unrat zu sehen. Jetzt fehlte nur noch ein Sicherheitsgeländer, um eine neue Touristenattraktion zu schaffen.
    Zoe stand am Abhang der Plattform und ließ ihren Blick über die Baumwipfel auf der anderen Straßenseite schweifen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihre Mutter den kleinen Steilhang hinaufsteigen, in der Handtasche den Beutel mit den tödlichen Injektionen. Sie konnte sich die Überraschung der drei jungen Männer im Auto bildlich vorstellen, als die sonst spröde Predigerin plötzlich strahlend und lächelnd auf sie zugekommen war. Natürlich waren die drei vertrauensselig gewesen, nachdem die trotz ihres Alters schöne Frau ihnen Drogen angeboten hatte. Dass sie kurz darauf betäubt und hilflos mitansehen mussten, wie diese Frau einem nach dem anderen eine Injektionsnadel in den Brustkorb jagte, hätten sie vermutlich niemals erwartet.
    Zoe schüttelte fassungslos den Kopf. Leon trat hinter sie und umarmte sie wortlos. Er hielt sie fest, gab ihr die Zeit, die sie brauchte, während der Tathergang vor ihrem inneren Auge ablief wie ein sich ständig wiederholender Film.
    Sie legte eine Hand auf Leons Arm und lehnte sich mit dem Hinterkopf gegen seine Brust. »Ich versuche unentwegt, es zu begreifen, aber es gelingt mir nicht. Obwohl sie drei Morde begangen hatte, ist sie hierher zurückgekehrt.«
    Leon beugte sich vor und küsste Zoes Haar. »Mörder kehren oft an den Tatort zurück. Das kann viele Gründe haben. Nachträgliches Verwischen von Beweisspuren, der Drang, sich in seiner Tat zu bestätigen, oder …« Er stockte.
    »Oder Wahnsinn«, beendete Zoe seinen Satz.
    »Aus meiner Erfahrung ist dieses Verhalten typisch für psychisch gestörte Straftäter. Sie verbringen völlig unauffällig ihr alltägliches Leben und wechseln von einem Moment auf den anderen ihr Verhalten, so dass man den Eindruck bekommt, es mit zwei Persönlichkeiten zu tun zu haben.«
    Unwillkürlich kam Zoe ihre eigene Marotte, sich als Loretta zu verkleiden, in den Sinn.
    »Könnten genetische Faktoren eine Rolle spielen?«
    Mit einem Schritt hatte Leon sich vor sie geschoben und blickte ihr in die Augen.
    »Dafür gibt es keine festen Nachweise. Und, nein, ich denke nicht, dass du die Krankheit deiner Mutter geerbt haben könntest. Du solltest dich da nicht hineinsteigern, nur weil du dich gern manchmal verkleidest.«
    Sie blickte ihn an, verblüfft darüber, dass er nach so kurzer Zeit, die sie sich kannten, in der Lage war, ihre Gedanken zu erraten.
    Er zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Hey, Kopf hoch! Ich mochte Loretta.«
    »Ich nicht.«
    Er nahm sie erneut in die Arme. Eine Weile standen sie schweigend da und lauschten dem Wind in den Blättern.
    »Komm mit mir nach Mainz, Zoe!«
    Der Satz brachte ihr Herz zum Jubeln. Sie war so weich geworden, seit sie die pinkfarbene Perücke weggeworfen hatte.
    »Du musst gehen, nicht wahr?«
    »Ja. Es
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